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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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fünfzehn Jahren entwickelt, als sie beobachtet hatte, wie eine gleichaltrige Cousine, die weder reicher noch hübscher war als sie, einen ganzen Salon mit ihrem kunstvollen Gewedel in Bann schlug. Die Uzanne, damals noch das Junge Fräulein, konnte ihre Cousine überreden, sie in diese fesselnde Sprache einzuführen. Männer und Frauen kannten die Zeichen des Fächers gleichermaßen, und wie in jeder Sprache konnte man desto mehr ausdrücken, je geübter man war. Bald war die Schülerin darin geschickter als die Lehrerin. Zuschnappen, sinken lassen, Drehungen des Handgelenks, kleine Schläge, Fächeln und sehnsüchtiges Streicheln füllten die Lücken, die unaussprechliche Worte des Verlangens hinterließen. Die Uzanne wusste, in welchem Winkel sie den Fächer über ihre Brust halten musste, wenn sie als Kurtisane betrachtet werden wollte oder auch nicht, und wie sie mit einem Blick über einen halbgeschlossenen Fächer jeden Mann auf ihre Seite ziehen konnte. Die Gesellschaft riss sich um die Anwesenheit der Uzanne auf Bällen und in Salons. Die eifersüchtige Cousine sann auf Rache und gab ihr beim jährlichen Figurentanz einen bürgerlichen Tölpel an die Seite. Die Uzanne zog die Maske der fürsorglichen Kupplerin auf und machte einen epileptischen finnischen Grafen, der die leere Mulde in seinem Hochzeitsbett gern füllen wollte, auf die Cousine als erwartungsvolle Jungfrau aufmerksam. Die Uzanne vergoss die herrlichsten Krokodilstränen, als sie ihrer Cousine zum Abschied winkte, die sich nach Åbo einschiffte, einem scheußlichen Kaff, das sich als Finnlands Hauptstadt bezeichnete.
    Die Uzanne hatte ihre Waffe gefunden. Jahrelang praktizierte sie ohne Unterlass, sie reiste nach Paris und Wien, um von Konkubinen und Königinnen zu lernen, die hinter dem Thron die Fäden zogen, und sie besuchte Fächerhersteller, von denen sie Tipps und Tricks bezog. Mit neunzehn Jahren feierte sie ihren größten Triumph, als sie den reichen jungen Baron Henrik Uzanne erst in ihre Arme und dann in ihr Bett fächelte. Nach drei Monaten vermählten sie sich. Nur ihre ältere Schwester, die mit besagtem Edelmann verlobt gewesen war, schien völlig am Ende. Stolz nahm das junge Fräulein den alten französischen Familiennamen an, der ein Jahrhundert zuvor Einzug in Schweden gehalten hatte. Dass der Name Uzanne damals einen ehrgeizigen Landsknecht verkörperte, der sich seinen Weg nach oben mit dem Säbel erkämpft hatte, erwähnte sie nie.
    Henrik war die perfekte Eroberung: hochbegehrt, aristokratisch, gutaussehend, eine angenehme Gesellschaft und mit ausreichend eigenem Vermögen ausgestattet, um ihren Wünschen nachzukommen. Mit der Zeit fand die Uzanne heraus, dass Henrik mehr war als nur eine Trophäe, die sie mit ihrem beispielhaften Talent gewonnen hatte. Er liebte sie, und mit ihm fand sie die Leidenschaft ihres Lebens. Henrik war politisch sehr engagiert und führte die Uzanne in die Spiele der Regierenden ein, was sehr viel verlockender war als die Tändelspielchen und Intrigen bei Hof. Erst weckte Henrik ihr Interesse, dann fand er in ihr eine scharfsinnige Beobachterin und Analytikerin. Die Uzanne und ihr Henrik verschworen sich mit den Patrioten zugunsten einer Wiedereinsetzung der Herrschaft des Adels mit Herzog Karl als Strohmann auf dem Thron. Ihr Komplott schweißte sie enger zusammen als viele andere Ehepaare, und keiner konnte verstehen, warum sie sich nicht mitunter zu einem Stelldichein trafen. Henrik war betrübt über ihre Kinderlosigkeit, aber die Uzanne hatte nicht vor, schon bald Mutter zu werden. Abgesehen von ihrer Eitelkeit und den Risiken einer Geburt hielt sie Kinder für die größte Unannehmlichkeit, die sie sich vorstellen konnte. Sie ließ Henrik freie Hand bei ihren Zofen, mit denen er ein paar süße Bastarde zeugte, und so war diese kleine Unstimmigkeit beseitigt. Als sie es schließlich für angebracht hielt, einen Erben zu produzieren, war es leider zu spät.
    Henrik gab auch ihrer Leidenschaft für Fächer nach, und bald besaß die Uzanne eine Sammlung, die ohnegleichen war. Sie umfasste alle Farben, alle Länder, alle Arten. Italienisches Sandelholz, spanische Spitze, russisches Pergament, englisches Silber, japanische Seide und alles, was aus Frankreich kam. Und die Uzanne würde alles geben für einen Fächer, den sie einen »Charakter« oder eine »Novität« nannte. Charaktervolle Fächer übermittelten ein bestimmtes Gefühl; ihre Sammlung beinhaltete Sehnsucht, Melancholie, Wut,

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