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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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denen Verzweifelte in der Hoffnung auf letzte Rettung segelten oder Kriminelle, die sie verlassen konnten, ohne dass der Verlust sie besonders hart traf. Der Kahn war bis oben hin mit Konterbande beladen und kam aus Riga. Eine erfolgreiche Passage belohnte das große Risiko. Nachdem Frankreich durch die Revolution seinen Status als Zentrum der zivilisierten Welt verloren hatte, waren Luxusgüter knapp, die Einfuhrsteuern hoch. Dieses Schiff hatte Spitze geladen. Sie war teuer in der Herstellung und eine beliebte Zierde für Männer, Frauen und Kinder sowie für das eine oder andere Schoßhündchen und würde ein kleines Vermögen einbringen. Schlechtes Wetter und Arbeit zu später Stunde schreckten mich nicht, schließlich bekam ich einen Teil der beschlagnahmten Güter.
    Zwei Polizisten waren schon vor Ort, sie hatten mit dem Licht ihrer Laternen einen Seemann eingekreist. Der Festgenommene war ein drahtiger Mann mit runzligem Gesicht, er hatte eine kleine Ziehharmonika bei sich. Als er meinen roten Rock sah, nickte er respektvoll. »Eine schreckliche Nacht, Sekretär, ich wurde bei Fjäderholmarna abgetrieben«, sagte der Kapitän und schüttelte mir die Hand. »Wollen wir nicht ins nächste Wirtshaus gehen? Dort kann ich Ihnen im Trockenen und bei einem wärmenden Getränk meine Geschichte erzählen. Ich lade Sie natürlich ein.«
    Ich sagte den Polizisten, dass der Fall eindeutig in die Zuständigkeit des Zollamts fiele und ich mich persönlich um den Halunken kümmern würde. Der Kapitän und ich gingen in den
Krug zum Sauschwanz
, wo eine Laterne einladend im Regen flackerte. Bei dem scheußlichen Wetter waren alle außer den eingefleischtesten Trinkern zu Hause geblieben.
    »Für den Fall, dass es später Fragen geben sollte, möchte ich Ihren Namen lieber nicht wissen«, sagte er.
    »Die wenigsten kennen ihn«, erwiderte ich, »ich aber kenne Ihren. Auf dem Amt wird oft über sie gesprochen, Kapitän Hinken.«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung, als hätte er dieses Kompliment schon zu oft gehört. »Es ist nützlich, mich zu kennen, denn ich kann alles – und jeden – von A nach B transportieren, ohne dass der Rest des Alphabets es mitbekommt.« Er rief den Wirt, bestellte Glühwein und setzte sich. »Sie sehen aus wie der typische Zollbeamte, Sekretär«, hob Hinken an. »Gardemaß und -statur, ein ebenmäßiges Gesicht. Sie könnten jedermann sein und gefallen sich zweifellos darin, als jemand anders zu gelten. Auf den ersten Blick sind Sie eine angenehme und vertrauenswürdige Erscheinung, wenn man jedoch näher hinsieht …«
    »Sie schmeicheln mir, Kapitän.«
    »Ganz und gar nicht, Sekretär. Jede junge Dame würde mir zustimmen.« Er verlangte erneut nach den Getränken, und der Wirt eilte mit unseren Bechern herbei. Hinken wartete, bis der Mann außer Hörweite war, und fuhr fort: »Ich bin Seemann, Sekretär, daher ist allein schon die Haft für mich die Hölle auf Erden. Vielleicht können wir zu einer Übereinkunft kommen.«
    Ich nickte, allerdings nicht zu enthusiastisch. Hinken bot mir eine Kiste russischen Wodka und ein Dutzend Rollen Spitze als Abschlagszahlung an, wenn ich einen Bericht über seine strenge Gesetzestreue verfasste und ihn nach Sankt Petersburg segeln ließ. Wir einigten uns auf drei Kisten Alkohol und eine halbe Kiste Spitze, dazu bekam ich sein Versprechen, mir irgendwann einmal eine heimliche Überfahrt zu ermöglichen, sollte ich sie je brauchen. Hinken schickte den Küchenjungen mit einer Nachricht für seinen ersten Maat aufs Schiff, und bevor wir noch die erste Runde ausgetrunken hatten, kam die Ware. Ich steckte eine Rolle Spitze in meinen Quersack und ordnete an, dass der Rest später geliefert werden solle. Für den Kapitän war es ein günstiges Geschäft – die Spitze erwies sich als so faserig, dass nur ein Fischweib ihr Mieder damit schmücken würde, und der Wodka war mittelmäßig –, für mich war es dennoch einträglich. In der Stadt konnte man Alkohol jeder Art verkaufen, und Flitterkram wie Spitze konnte man immer gebrauchen, um jemanden zu etwas zu überreden. Ich würde am Ende schon auf meine Kosten kommen.
    Doch Hinken hatte noch etwas anzubieten: neueste Nachrichten von den Revolutionen auf dem Kontinent. England leckte sich noch die Wunden, die die abgelösten Kolonien geschlagen hatten. Hollands republikanischer Aufstand war von preußischen Stiefeln niedergetrampelt worden. Frankreich hatte gerade begonnen, den Inhalt seines kranken

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