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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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regendunklen Nacht in die Gråmunkegränd zu eilen, verfinsterte sich mein Gesicht, aber wenn ich mich nicht zeigte, wäre ich selbst der Leidtragende.
    Hinken stieß mich in die Rippen. »So ein düsteres Gesicht, Sekretär – das kann man mit einem Liedchen vertreiben. Hier kommt endlich die Musik, um die Sie gebeten haben.« Er nahm seine Ziehharmonika von der Nebenbank und stimmte sich mit einer einfachen Tonleiter ein: c, d, e, f, g, a, h, c.
    »Das ist eine Oktave, nicht wahr?«, fragte ich. »Der erste und der letzte Ton sind gleich.« Hinken nickte.
    »Warum muss man den Grundton wiederholen? Warum können es nicht sieben Töne sein, warum müssen es acht sein?«
    Hinken runzelte bei dieser verwirrenden Frage die Stirn. Er spielte ein paarmal die Tonleiter hinauf und hinunter und ließ jeweils den letzten Ton aus. Dann setzte er seine Ziehharmonika ab und zuckte mit den Schultern. »Es klingt einfach nicht stimmig, man braucht alle acht Töne.«
    »Dann … dann ist das also eine Wahrheit«, fragte ich ruhig, »im weiteren Sinn?«
    Wieder zuckte Hinken mit den Achseln und fing an zu spielen, doch nach zwei melancholischen, mit falschen Tönen durchzogenen Balladen sagte der Wirt, er solle aufhören. Die letzte Bestellung wurde ausgerufen, das Knarren der Stühle und Bänke, die auf die Holztische gestellt wurden, mischte sich in das Scheppern aus dem Spülstein im Hintergrund. Johanna streute Sägemehl und Sand auf die Bodendielen und machte sich ans Auskehren.
    »Was wissen Sie sonst noch über Oktaven und Achterkonstellationen?«, fragte ich Hinken. Johanna kam näher, sie fegte so langsam, dass man ihren Besen kaum hörte.
    »Die Acht hat mir immer Glück gebracht, Herr Sekretär. Es gibt zwar nur sieben Meere, aber mein Schiff heißt
Der Achte
– ich nenne es
Henry
. Ein Schiff hat zwar selten einen Männernamen, meines aber schon.«
    Johanna stützte sich auf ihren Besen. »Mein Vater ist Apotheker, er hat Kräuter von einem Chinesen gekauft, der eine Tätowierung in Form einer Acht hatte, sie begann am Mittelfinger und zog sich über den ganzen Unterarm bis zum Ellbogen. Der Chinese huldigte den ›Acht Unsterblichen‹, die Reichtum und ein langes Leben schenken. Er erzählte meinem Vater, die Acht sei die beste Zahl und stehe für Glück.«
    Hinken nickte. »Und die aus dem Fernen Osten sind die glücklichsten Bastarde! Alle, die ich getroffen habe, hatten noch sämtliche Zähne im Mund«, sagte er. »Aber warum fragen Sie, Sekretär?«
    »Eine Wahrsagerin hat begonnen, mir mit acht Karten ein sogenanntes Oktavo zu legen«, antwortete ich. »Ich sollte jetzt bereits bei ihr sein, damit wir die nächste Karte legen können.« Ich blickte zum Nebentisch und dem verlassenen Pochbrett mit den acht Mulden um die leere Mitte herum. »Ich musste ihr gegenüber einen Schwur leisten, dass ich das Oktavo beende. Es führe zu meiner Wiedergeburt, sagte sie.«
    »Und welche Art von Wiedergeburt soll Ihnen das Oktavo bescheren, Herr Sekretär? Reichtum und ein langes Leben wie die Unsterblichen des Chinesen?«, fragte Johanna.
    »Sie sagte, es würde mir Liebe und Verbundenheit bringen, aber das bekomme ich sowieso, Karten hin oder her. Ich bin fast verlobt.«
    »Meinen Glückwunsch!« Hinken schlug mir auf den Rücken. »Und mein Beileid.«
    Ich reckte die Arme und spürte, wie die Gelenke an meinen Schulterblättern knackten. »Vielleicht kann ich stattdessen morgen Nacht gehen.«
    Hinken stand so jäh auf, dass er sich an mir festhalten musste, um nicht zu fallen. »Es ist riskant, einen Schwur zu brechen, vor allem wenn die Hellseherin eine wahre Gabe hat. Sie könnte Sie dafür verfluchen.«
    Madame Sparv würde zwar ungern ihren Partner im Falschspiel verlieren, aber sie hatte tatsächlich gesagt, dass Suchende, die das Oktavo nicht ernst nahmen, auf ihrem Weg strauchelten. Und ich sollte mir das reiche Schiff namens Carlotta mit allen Mitteln sichern. »Sie haben recht, Hinken, es wäre weise, die Sache durchzuziehen. Als eine Art Zusatzversicherung für meinen Erfolg.«
    »Stecken Sie Ihren Kurs ab, dann kommen Sie ans Ziel Ihrer Wahl«, riet mir Hinken, als er seinen Mantel überzog. »Ich würde Sie ja gern zu dieser Wahrsagerin begleiten, aber Sie werden verstehen, dass es für uns beide das Beste ist, wenn sich unsere Wege hier trennen.«
    »Und wie kann ich Sie finden, um die Gefälligkeiten abzuholen, die Sie mir schulden?«, fragte ich und hob meinen roten Rock vom Boden auf.
    Kapitän Hinken

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