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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Prostituiertenschicksalen in der klassischen russischen Literatur von Nekrassow über Dostojewski, Garschin, Tolstoi bis Tschechow und Gorki bereits eine lange und künstlerisch ungemein kraftvolle Tradition (erinnert sei nur an so erschütternde und einprägsame Figuren wie Dostojewskis Gruschenka und Sonja Marmeladowa oder an Tolstois Katjuscha Masiowa), doch nie zuvor war das Phänomen selbst grundlegender epischer Gegenstand eines umfangreichen Werkes der großen russischen Literatur gewesen.
    Der vorliegende Roman versucht nun nicht mehr und nicht weniger, als eine nahezu enzyklopädische belletristische Behandlung des Bordellwesens in der zaristischen Gesellschaft am Beispiel des Prostituiertenviertels einer südrussischen Großstadt um die Jahrhundertwende zu liefern, ihre sozialen Wurzeln und Folgen trotz aller belletristischen Fiktivität so naturgetreu wie möglich darzulegen; ein Vorhaben, das eine genaue Kenntnis der sozialen Zusammenhänge und der realen Details sowie eine besondere Kraft der Imagination und Komposition erforderte, um das ebenso uferlose wie moralisch delikate und gesellschaftlich hochgradig tabuisierte Sujet in den künstlerisch überzeugenden Rahmen eines anspruchsvollen literarischen Werkes zu bannen.
    Wie auch in seinen anderen bedeutenden Werken, Romanen und Erzählungen, geht Kuprin zunächst von seiner unmittelbaren eigenen Beobachtung, seinen Erfahrungen und seiner ihm direkt zugänglichen Umwelt aus. Nicht umsonst spielt der vorliegende Roman in einer nicht näher benannten südrussischen Stadt, hinter der man auch Odessa oder Charkow vermuten könnte – und diese Verallgemeinerung ist vom Verfasser deutlich beabsichtigt –, als deren Prototyp sich jedoch durch einige mehr oder weniger versteckte Anspielungen (wie etwa auf das tausendjährige Bestehen der berühmten Lawra) Kiew erweist, jene Stadt, wo Kuprin von 1894 bis 1897 gelebt und vor allem als Journalist und Reporter gearbeitet hatte. Es ist daher ebensowenig als Zufall zu betrachten, daß eine der beiden männlichen Hauptfiguren, Sergej Iwanowitsch Platonow, Lokalreporter ist, der alle jene Berufe ausgeübt hatte, die für Kuprin selbst bezeugt sind. Der Autor wie die ihn spiegelnde Romangestalt besitzen eine genaue Kenntnis des entsprechenden Milieus, und die von Platonow vertretenen Gedanken dürfen im wesentlichen als die seines literarischen Schöpfers gelten.
    Der Roman, der seinen Beobachtungscharakter in keiner Weise verleugnet, ist selbst in der Fiktionalität seiner Darstellung von vornherein auch dort auf authentische Dokumentation eingestellt, wo es um die verallgemeinerte exemplarische Zusammenfassung historischer Fakten geht, wie etwa in der fiktiven Rahmenhandlung, die das Schicksal des »Kutscherviertels«, das den Schauplatz des Romans bildet, von seinem Entstehen bis zu seinem Untergang betrifft.
    Aus dem Fuhrmanns- oder Kutscherviertel (Jamskaja Sloboda) hat sich im Zuge der raschen Kapitalisierung und der mit ihr verknüpften Umschichtung in der Sozialstruktur ein Bordellviertel (Jama = Lastergrube, Sumpf) entwickelt, in dem sich die Proletarisierung der Massen – vor allem der Frauen –, das Schmarotzertum der Neureichen und der moralische Verfall der gesamten Gesellschaft in düsteren, apokalyptischen Zerrbildern spiegeln.
    Mit der Akribie eines naturalistischen Dokumentarstils werden die Lebensweise und Atmosphäre detailgetreu geschildert: die auch hier noch vorhandene »Klasseneinteilung« in Fünfzigkopeken-, Ein-, Zwei- und Dreirubelbordelle, das Alltagsleben dieses merkwürdigen Geschäftsviertels rund um die Uhr, die menschenverachtende« Prostitution in all ihrer Grausamkeit und Widerwärtigkeit, das Schicksal der Mädchen und das differenzierte Profil ihres »Kundenkreises«, der von »Vizegouverneuren und Gendarmerie-Obersten« über »angesehene Advokaten, bekannte Ärzte, reiche Gutsbesitzer und prassende Kaufleute« bis zu kleinen Beamten, Studenten, Soldaten, Dieben und Totschlägern, Spitzeln und Spionen, entflohenen Zuchthäuslern und jeglichem »Volk« reicht, wobei »hinfällige Sabbergreise« ebenso vertreten sind wie ehrbare Familienväter in den besten Jahren und Grünschnäbel, die kaum trocken hinter den Ohren sind. Dies alles ergibt ein äußerst präzises und anschauliches Kultur- und Sittenbild der Nachtseite Rußlands im historischen Prozeß seiner Kapitalisierung, das heute noch ebenso beeindruckend ist und nicht zuletzt auch soziale Wurzeln des russischen

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