Das Syndikat der Spinne
verließ das Zimmer sofort wieder. Julia Durant legte ihn auf den Tisch und ließ das Schloss aufschnappen. Sie holte tief Luft, sah hinein und fluchte: »Verdammte Scheiße, wer will uns hier verarschen?! Wo ist der Terminplaner, und wo sind die Akten? Alles, was hier drin ist, sind ein paar Stifte, ein Notizblock, eine Pistole Marke Derringer und ein Taschenrechner. Wo ist das andere Zeug?«
»Wovon sprechen Sie?«, fragte Berger, der aufgestanden war und ebenfalls einen Blick in den Koffer warf.
»Frau Wiesner hat mir bei der Vernehmung gesagt, dass sie gestern Abend den Koffer aufgemacht hat, und sie hat mir genau beschrieben, was sich alles darin befunden hat. Ich habe es notiert und auf Band mitgeschnitten. Diese Sachen hier, dazu aber noch mehrere Aktenordner und Wiesners persönlicher Terminplaner. Wo ist dieses verdammte Zeug abgeblieben?«
»Die hat jemand rausgenommen«, murmelte Hellmer nachdenklich. »Das würde auch die Aktion von heute Nacht erklären. Irgendwer hat spitzgekriegt, dass die Wiesner ihren Schwager umgenietet hat. Aber wer? Egal, auf jeden Fall war dieser Koffer in Wiesners Landhaus nicht aufzufinden. Also schloss man daraus, dass derMörder, oder in unserm Fall die Mörderin, ihn mitgenommen hat … Ach, ich hab keine Ahnung, was dahinter steckt.«
»Aber ich habe eine Vermutung. Ich muss gleich noch mal mit der Wiesner sprechen. Ich brauche von ihr eine Beschreibung der fehlenden Gegenstände. Schau du mal zu, ob im Computer irgendwas über diesen Pierre Doux vermerkt ist. Und wenn du schon dabei bist, dann überprüf auch gleich mal Daniel Laskin.«
»Und wenn sie die Sachen gar nicht in den Koffer zurückgelegt hat?«, fragte Berger.
»Glaub ich nicht. Die würde mich nicht anlügen. Ich glaube vielmehr, dass hier jemand furchtbare Angst davor hat, dass wir die Wahrheit ans Licht bringen, und deshalb die Sachen einfach hat verschwinden lassen. Ich will erstens wissen, wer Frau Wiesner heute Nacht verhaftet hat, und zwar die Namen und den Dienstgrad, und zweitens, wo der Koffer hier im Präsidium zuerst gelandet ist. Frank, übernimm du das bitte …«
»Augenblick mal, ich kann nicht alles auf einmal machen. Also, was jetzt zuerst?«
»Wer die Wiesner verhaftet hat und dann im Computer nachschauen. Recht so? Ich geh noch mal schnell zur Wiesner. Es kommt auch gleich ein Anwalt für sie vorbei, nur damit ihr Bescheid wisst.«
»Wer ist ihr Anwalt?«, fragte Berger.
»Schmitz«, antwortete Durant.
»Der Schmitz?«
»Genau der. Ich habe mir die Freiheit genommen, ihn zu bitten, Ramona Wiesner zu vertreten. Ich denke, Frau Wiesner hat den besten Anwalt verdient«, erklärte sie gelassen. »Sollten Sie anderer Meinung sein, dann sagen Sie es. Wir können ihr auch einen Pflichtverteidiger …«
»Frau Durant, jetzt seien Sie doch um Himmels willen nicht so gereizt.«
»Herr Berger, wissen Sie eigentlich, wie sehr mir das alles hier zum Hals raushängt?! Da ist eine Schweinerei am Laufen, und wir haben jetzt eine Frau einsitzen, die nichts weiter getan hat, als denMörder ihres Mannes umzubringen. Welche Gefühle hätten Sie denn gehabt, wenn Sie gewusst hätten, wer …«
Berger hob die Hand und sagte: »Frau Durant, wie Sie wissen, habe ich vor einigen Jahren meine Frau und meinen Sohn verloren. Ich hätte damals am liebsten den Todesfahrer des Lkws mit eigenen Händen umgebracht. Meine Frau und mein Sohn waren tot, weil ein betrunkener Autofahrer mit einem Dreißigtonner bei Rot über eine Ampel gebrettert ist. Und dann sitzt da ein Richter und verurteilt ihn wegen Trunkenheit am Steuer und einem Unfall mit Todesfolge zu zwei Jahren Führerscheinentzug und sechs Monaten Haft auf Bewährung mit der Begründung, man wolle dem jungen Mann, der eine Frau und zwei Kinder habe, nicht die Zukunft verbauen. Nach meiner Zukunft hat damals kein Schwein gefragt. Ich bin durch die Hölle gegangen, ich habe daran gedacht, ihn umzubringen, ich habe aber auch mit dem Gedanken gespielt, mir selbst das Leben zu nehmen. Doch da war noch meine Tochter. Jetzt ist sie aus dem Haus, und ich lebe ganz allein. Ich habe in den letzten Jahren zu viel getrunken, zu viel geraucht und zu viel gefressen, das Resultat sieht man ja«, fügte er mit einem kurzen Lächeln hinzu, um gleich wieder ernst zu werden. »Aber vor etwa einem halben Jahr hat meine Tochter eindringlich mit mir geredet und mir gesagt, wie sehr sie mich immer noch braucht. In diesem Moment habe ich mir gedacht: Wenn das so ist, dann
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