Das Syndikat der Spinne
hör ich eben auf mit der Sauferei. Sie wussten es ja sowieso die ganze Zeit über, und ich danke Ihnen auch, dass Sie nie etwas gesagt haben …«
»Chef …«
»Nein, lassen Sie mich bitte ausreden. Wenn wir schon bei diesem Thema sind, ich kann nachvollziehen, was in Frau Wiesner vorgegangen ist, auch wenn die Umstände bei ihr etwas anders liegen. Ich kann mich in ihre Gefühlswelt hineinversetzen. Irgendwann in den letzten Tagen ist alles in ihr kalt geworden, als sie erfahren hat, dass ihr Schwager der Mörder ihres Mannes ist oder den Mord in Auftrag gegeben hat. Und deshalb haben Sie in allem, was Sie ab jetzt tun, meine volle Rückendeckung. Und ich habe ein breites Kreuz. FindenSie heraus, was für eine Schweinerei hier am Laufen ist, meine Unterstützung ist Ihnen sicher, denn ich bin voll und ganz auf Ihrer Seite. Sind damit alle Unklarheiten beseitigt?«
»Ja, Chef«, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. »Und danke.«
»Nein, ich habe zu danken. Denn ohne Sie, Herrn Hellmer und Herrn Kullmer wäre diese Abteilung nur eine unter vielen. Und jetzt können Sie beweisen, wie gut Sie alle wirklich sind. Hauen Sie schon ab und befragen noch mal Frau Wiesner. Herr Hellmer und ich werden in der Zwischenzeit versuchen, etwas über diesen ominösen Herrn Doux und Herrn Laskin in Erfahrung zu bringen und wer den Einsatz heute Nacht geleitet hat und wer alles dabei war.«
»Okay, bis gleich.«
Julia Durant verließ das Büro und ging langsam den Gang entlang. Die Sohlen ihrer neuen Tennisschuhe quietschten bei jedem Schritt. Sie dachte nach. Nie zuvor hatte Berger auch nur ein Detail aus seinem Privatleben preisgegeben. Und auf einmal hatte er geredet wie ein Wasserfall. In diesem Moment schämte sie sich dafür, manchmal so abfällig über ihn gedacht zu haben, denn in Wirklichkeit war Berger in Ordnung. Er war nicht der typische Chef, dem nichts recht gemacht werden konnte, er ließ ihr und den andern Beamten viele Freiheiten. So hatte sie ihn kennen gelernt, und so war er immer noch. Chapeau, dachte sie nur und verbeugte sich in Gedanken vor ihm. Als sie im Zellentrakt anlangte, wo die Festgenommenen maximal sechsunddreißig Stunden festgehalten werden durften, sprach sie den Wärter an und bat ihn, die Zelle von Ramona Wiesner aufzuschließen.
Sie saß auf der schmalen, harten Pritsche, der Boden und die Wände waren gekachelt, das winzige vergitterte Fenster befand sich in unerreichbarer Höhe. Julia Durant hatte Gefangene erlebt, die schon nach wenigen Minuten in einer dieser über vier Meter langen, aber nur knapp einszwanzig breiten Zelle Panikattacken bekommen hatten. Ein etwas älterer Mann, der fälschlicherweise festgenommenworden war, hatte sogar einen Herzanfall erlitten und wäre beinahe gestorben. Die Kommissarin betrat diese Zellen nicht gerne, und sie konnte sich vorstellen, dass niemand, schon gar nicht eine fragile Person wie Ramona Wiesner, hier drin auch nur einen klaren Gedanken zu fassen in der Lage war. Die bedrückende Enge, die Kacheln, die kahle Pritsche, das gleißende Licht von der Decke. Sie bat den Wärter, die Tür zu schließen, und setzte sich neben Ramona Wiesner.
»Frau Wiesner, ich muss Ihnen doch noch ein paar Fragen stellen. Und jetzt brauche ich ganz exakte Antworten.«
»Fragen Sie«, sagte Ramona Wiesner.
»Wie viele Beamte sind heute Nacht bei Ihnen gewesen?«
»Drei.«
»Haben Sie sich die Namen behalten können?«
»Nein, ich war viel zu verschlafen. Außerdem ging alles sehr, sehr schnell. Soweit ich weiß, haben sie sich gar nicht vorgestellt.«
»Haben sie Ihnen ihre Ausweise gezeigt oder nur die Dienstmarken?«
»Ich meine, sie haben mir ihre Ausweise gezeigt, aber bloß ganz kurz.«
»Wissen Sie noch, um welche Zeit genau die Beamten kamen?«
»Allerdings, es war um drei Uhr zehn. Ich habe auf den Wecker geschaut und mich gefragt, wer um diese Zeit bei mir klingelt.«
»Was ist dann passiert? Sind Sie zusammen mit den Beamten in das Arbeitszimmer Ihres Mannes gegangen, um den Koffer und die Pistole zu holen, oder ist es anders abgelaufen?«
»Nein. Zwei Polizisten sind mit mir im Wohnzimmer geblieben, einer ist nach oben gegangen, nachdem er mich gefragt hat, wo sich das Arbeitszimmer befindet.«
»Aha. Und wie lange war der andere oben? Fünf Minuten, zehn, eine halbe Stunde?«
Ramona Wiesner überlegte kurz und antwortete: »Er war höchstens fünf Minuten weg, als er mit dem Koffer und der Pistole wieder runterkam.«
»Fünf
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