Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
schaukeln ist. Seine Nanny darf Klein Edward Zeit seines Lebens »Mom« nennen.
Aus Heinrichs drei folgenden Ehen gehen keine Kinder mehr hervor. Deshalb setzt der Monarch auf dem Sterbebett neben dem inzwischen neunjährigen Edward Maria und Elisabeth wieder in die Thronfolge ein und verfügt, dass nach seinem Tod zunächst ein Kronrat die Regierungsgeschäfte für den minderjährigen Knabenkönig übernimmt.
Der Rat besteht aus neuadligen Glaubensreformern, protestantischen Klerikern und anpassungsfähigen Taktierern wie John Dudley, die gelernt haben, ihre religiösen Ansichten geschmeidig zu halten, genau wie Heinrich selbst. Die Fraktion der Opportunisten bleibt für eine heimliche Zusammenarbeit mit der katholischen Partei offen. Schließlich ist Maria, die erstgeborene Tochter, nun wieder erbberechtigt und Edward noch nicht über die gesundheitlich kritischen Kinderjahre hinaus.
Der kleine Prinz tritt ein schwieriges Erbe an: Die papsttreue Partei bei Hof ist nicht entmachtet, sie hat in Europa mächtige Freunde, und Englands Volk leidet – bei allem Widerwillen gegen die erlebte Gier und verbreitete Sittenlosigkeit Roms – unter der Zerschlagung von Kirchen und Klöstern, die eine medizinische, bildungspolitische und soziale Grundversorgung garantiert hatten. Das konfiszierte Kirchenvermögen hat Heinrich verprasst, er hat es nicht genutzt, um eine neues Fürsorgenetz zu knüpfen. Immer wieder flackern – im Gewand des religiösen Protestes – soziale Unruhen auf, die den Katholiken und ihrer Hoffnungsträgerin Maria Tudor in die Hand spielen.
Im Gegenzug lassen die reformerisch gesinnten Räte Edward strikt protestantisch erziehen, um ihre Position zu stärken. Der minderjährige Regent wird – unter anderem mittels Schlägen und moralischer Erpressung durch Einsatz eines Prügelknaben, der für Edwards Verfehlungen büßt – darauf vorbereitet, die Reformation zu vollenden.
Ab 1548 werden im Namen Edwards Bilderstürme in den Kirchen entfacht. Während die Glaubenskommissare seines Vaters Heiligenschreine und Klöster geplündt haben, um sich ein Vermögen zu sichern, geht es nun um ideologische Siege. Unersetzliche Wandmalereien werden geschändet und übertüncht, Altarbilder zerbrochen und durch großflächige Bibelworte und die Zehn Gebote ersetzt. Der in Stein gemeißelte und in Bilder übersetzte Glauben macht dem verbalen Glauben Platz.
Nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche feiern Edwards Lehrer ihren Zögling als Wiedergänger Josias, der als Kinderkönig die Tempel vom Götzendienst befreit hat. Ein Kompliment, das Heinrichs Sohn zusagt: In der radikalen Reformation wittert er seine Chance, das Erbe des Vaters nicht nur zu vollenden, sondern sogar zu übertreffen.
Ein Porträt des flämischen Hofmalers Hans Eworth, das nach der Krönung im Todesjahr seines Vaters entsteht, zeigt einen Jungen, der entschlossen die Siegerpose seines Vaters imitiert. Fünf Jahre später, so erfährt man aus Quellen, fordert der Sprössling selbstbewusst mehr Einfluss. Hofzeugen beschreiben den Vierzehnjährigen als vehement und tatkräftig, bis ihn im Herbst 1552 zunächst die Masern, dann die Windpocken niederstrecken – damals lebensgefährliche Krankheiten.
Nach glücklicher Genesung verschlechtert sich der Zustand des jungen Herrschers im feuchten Winter wieder. Blutiger Husten setzt ein. Die Tudor-Höflinge schwanken – je nach Konfession – über Monate zwischen Hoffen und Bangen. Heute nimmt man an, dass die Maserninfektion Edwards Immunsystem so sehr geschwächt hat, dass ein schlafender Tuberkelvirus geweckt wurde, der unweigerlich zum Tod führen musste.
Die im »Tarot der Engel« geschilderten Spekulationen um eine mögliche Vergiftung Edwards sind dennoch nicht aus der Luft gegriffen. Zeitgenössischen Quellen zufolge hat eine obskure Kräuterfrau dem siechenden Edward das »weiße Pulver« verabreicht. Auch John Dudleys Kampf um eine Testamentsänderung ist dokumentiert, genauso wie der Verdacht einiger seiner Zeitgenossen, dass er die Arsengabe verordnet habe.
Arsen ist seit dem Altertum gut bekannt. Bereits Hippokrates hat eine Arsensulfid-Paste zur Behandlung von Geschwüren benutzt. »Arsenik« wird das klassische Gift des Mittelalters, es ist am byzantinischen Hof ebenso in Gebrauch wie im Vatikan und im Dogenpalast zu Venedig. Auch die Borgias bedienten sich des Arsens für ihre niederen Zwecke, genauso wie viele andere berüchtigte Giftmörder bis in unser Jahrhundert
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