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Das taube Herz

Titel: Das taube Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Richle
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sprechen hören, von Kisten und Verpackungen, von einer speziellen Aufhängung der Räder, um die Schläge aufzufangen und Erschütterungen zu vermeiden. Der Wagen sollte eine mehrwöchige Reise überstehen, unvorhergesehene Passagen und Wasserdurchfahrten. Und vor allem sollte er eine Ware mit sich führen, deren Sensibilität und Zerbrechlichkeit den Transport auf einem holpernden Holzwagen als eine Sache der Unmöglichkeit erscheinen ließen. Pendeluhren, so groß wie Wandschränke, so fein
geschmückt und verarbeitet wie teuerster Schmuck, ausgestattet mit auf Millimeter und Millisekunden genauen mechanischen Apparaturen, mit Zähl- und Räderwerken, angereichert mit Puppen und Figurenspielen, astrologischen und ewigen Kalendern und melodienreichen Glockenspielen. Jean-Louis hatte noch nie eine dieser komplizierten Spieluhren gesehen, die Pierre Jaquet-Droz in La Chaux-de-Fonds baute und nun an den Hof des spanischen Königs bringen und dort zum Verkauf anbieten wollte. An mehreren Sonntagen hatte Jean-Louis seinen Vater mit anderen Messebesuchern halb bewundernd, halb abschätzig von diesen Uhren sprechen hören. Sein Vater hatte damit geprahlt, eine dieser Uhren gesehen zu haben, eine, die den Namen Le Berger trug. Es erstaunte Jean-Louis aufs Äußerste, dass etwas so Künstliches, ein Objekt, das nichts weiter darstellte als ein mechanisches Konstrukt, dass so ein Ding einen Namen tragen konnte, so als handelte es sich um ein Tier, um ein Kind, einen Menschen. Kühen gab man Namen wie Menschen, Haustieren aller Art und einigen Gespenstern, die noch niemand gesehen hatte. Denn eines ist all diesen Dingen gemeinsam: Sie bewegen sich nicht nur, sie bewegen sich obendrein aus eigenem Antrieb, sie leben und haben einen eigenen Willen. Aber eine Kiste mit Zahnrädern, Schrauben und ein paar gläsernen Deckeln und Emailscheiben? So als müsste man der Bewegung der Zeiger, die auf die Kraft von Gewichteisen und Stahlfedern zurückzuführen ist, die Gabe der Lebendigkeit verleihen, so als reichte es nicht, die Mechanik als das zu nehmen, was sie ist, nämlich das Werk eines geschickten Konstrukteurs, ohne dessen Einfallsreichtum die Pendule starr und dumm wäre, nichts anderes als ein
Haufen unbrauchbaren Schrotts. Nichts und niemand vermöchte daraus die Zeit ablesen, solange nicht die geniale Hand des Konstrukteurs die Teile zu dem zusammenfügte, was sich uns als eben jenes Instrument darstellt, welches die Leute im enthusiastischen Überschwang Le Berger nannten, nur weil anscheinend, so wurde erzählt, auf der Spitze dieses Kunstwerks der Mechanik ein kleiner Hirte saß. Das Gehäuse stammte nicht aus dem Hause Sovary, weshalb Jean-Louis’ Vater auch nur abschätzige, gar verächtliche Bemerkungen für dieses Machwerk übrig hatte, obwohl er das Genie des Jaquet-Droz sonst wie alle im Dorf in den höchsten Tönen lobte.
    Wenn jemand also Jean-Louis vor seiner bevorstehenden Gefangenschaft in den Fesseln der Religion retten konnte, dann war es Pierre Jaquet-Droz, der renommierteste, erfolgreichste und erfahrenste Konstrukteur in Jean-Louis’ Welt. Ein Mann, der Pendulen vom Jura aus an den spanischen Hof lieferte, der sollte Verständnis für Jean-Louis’ Passion haben.
     
    Es war hoher Nachmittag, als Jean-Louis La-Chaux-de-Fonds erreichte. Nur einmal war er hier gewesen, zusammen mit seinem Vater, um einige ungeschliffene Uhrengehäuse an einen Mann namens Sandoz zu liefern. Jean-Louis erinnerte sich genau an den Weg, hatte noch jede Abzweigung, jede Waldlichtung und jeden Bach, den es zu überqueren galt, in Erinnerung. Und nicht nur das, Jean-Louis hatte die Gespräche seines Vaters mit den Männern vor der Kirche mit angehört und erfahren, dass eben dieser Sandoz, Abraham Louis zum Vornamen, seit einigen Monaten an einem Wagen baute, einem speziellen
Gefährt für die außergewöhnliche Lieferung des Uhrmachers Jaquet-Droz an den König von Spanien. Dieser Abraham Louis Sandoz war nicht zu Hause. Eine Frau mit streng in die Höhe frisierten Haaren machte vage Angaben, sträubte sich regelrecht, Auskunft zu geben über ihren Ehemann, den sie kaum mehr zu Gesicht bekomme. Seit er sich dieses unsägliche, zum Scheitern verurteilte Unternehmen in den Kopf gesetzt habe, in einem selbst gebauten Wagen Pendulen nach Madrid zu liefern, sei er überhaupt unansprechbar.
    »Darum geht es gerade«, sagte Jean-Louis dringlich, »mein Vater hat einige der Rohlinge geliefert, die Herr Sandoz so kunstvoll und

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