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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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KAPITEL EINS
    Das Ende der Zeit fing in Tibet an. Shan Tao Yuns alter Freund Lokesh hatte es ihm in den letzten Monaten immer wieder gesagt. Erst gestern hatte er ihn abermals daran erinnert und mit gekrümmtem Finger auf eine unnatürlich geformte Wolke gezeigt, die am Horizont lauerte. Im Verlauf des vergangenen Jahres war Shan mehr als einmal schaudernd Zeuge geworden, wie Lokesh und ihre Lama-Freunde feierlich die uralte Prophezeiung deklamierten. Die Menschen hatten ihre Chance gehabt und versagt; sie hatten es zugelassen, dass ihre Zivilisation sich mehr um Unmenschlichkeit drehte als um Menschlichkeit. Nun befanden sie sich in einer Abwärtsspirale und würden in absehbarer Zeit durch eine intelligentere, mitleidsvollere Spezies abgelöst werden. Die Anzeichen dafür waren überall in Tibet zu sehen, und so erschien es den Lamas absolut logisch, dass der Prozess hier einsetzte, auf dem Dach der Welt, in dem Land, das der Heimat der Götter am nächsten war.
    Während Shan nun zusah, wie Lokesh einen alten Pilgerpfad säuberte und sich dabei leise betend bei den Insekten für die Störung entschuldigte, wurde ihm klar, dass er die alten Tibeter nicht nur wegen ihrer gütigen Weisheit bewunderte, sondern auch für die Lebensfreude, die sie sich trotz aller finsteren Vorahnungen bewahrten.
    »Jamyang spielt mit einer Ziege!«, rief Lokesh plötzlich.
    Shan bemerkte, dass sein Freund innegehalten hatte und zum gegenüberliegenden Hang schaute. Er blickte verwirrt über das kleine Hochtal hinweg und erkannte eine rennende Gestalt in dem kastanienbraunen Gewand eines Mönches. Erschrocken sah er zu der Straße in dem größeren Haupttal dahinter. Erst vor einer Stunde hatten sie dort eine Polizeipatrouille bemerkt. Jamyang war ein unregistrierter und somit illegaler Mönch, und es war leichtsinnig von ihm, sich so nahe an einer öffentlichen Straße zu zeigen.
    »Er wird noch zu seiner eigenen Feier zu spät kommen«, verkündete Lokesh grinsend. Shan erinnerte sich, dass der Lama sie eingeladen hatte, ihm in einer Stunde bei einer Mahlzeit Gesellschaft zu leisten, unweit der abgelegenen Hütte, die sein Zuhause war. Dort gab es einen kleinen Schrein, den Jamyang restauriert hatte, und der Rest des Tages sollte entsprechenden Feierlichkeiten gewidmet sein.
    Shan ging zu seinem Pick-up, nahm sein verschrammtes Fernglas vom Armaturenbrett und richtete es auf den gegenüberliegenden Hang. »Das ist keine Ziege«, berichtete er gleich darauf. »Er verfolgt einen Mann.« Die vordere Gestalt balancierte mühsam einen Sack und einen langen Gegenstand quer über den Schultern und lief in einer gebückten, ungleichmäßigen Gangart.
    Lokesh streckte beunruhigt einen Arm aus und zeichnete in der Luft den Verlauf des Pfades nach, dem die beiden Gestalten folgten. »Da geht es zu dieser neuen chinesischen Stadt!«, warnte er und deutete auf den Punkt, an dem der Weg hinter der Kammlinie verschwand. »Ihm ist nicht klar, wohin er gelockt wird!«
    Mit jäher Bestürzung nahm Shan den Hang erneut in Augenschein. Er hatte die Stadt – eine der neuen Einwanderersiedlungen, wie sie überall im ländlichen Tibet aus dem Boden gestampft wurden – sorgsam gemieden und seine alten tibetischenFreunde ebenfalls ermahnt, sich davon fernzuhalten. Die Regierung zahlte mittlerweile Belohnungen für Informationen über unregistrierte Mönche und noch weitaus mehr für ihre Ergreifung. Das hatte eine neue Sorte Kopfgeldjäger hervorgebracht, die der Polizei zur Hand gingen und versteckte Lamas aufspürten. Bei den Tibetern hießen diese verabscheuungswürdigen Männer Knochenfänger , denn die Mönche, die sie anschleppten, waren zumeist benommene, ausgemergelte Einsiedler, die nur noch aus Haut und Knochen bestanden. Der Knochenfänger, der Jamyang in die Hände der Behörden lockte, würde damit mehr verdienen als die meisten Tibeter in einem ganzen Jahr. In der Stadt musste es einen Polizeiposten mit einem Gefängnis geben. Der Lama mit dem großen Herzen würde verloren sein.
    Shan zog hektisch die zerknitterte Landkarte zu Rate, die vorn in seinem Wagen lag, und setzte sich ans Steuer. Er rief Lokesh zu, sie würden sich bei Jamyangs Schrein treffen, aber als er den Pick-up wendete, schwang der alte Tibeter sich auf die Ladefläche.
    Sie rasten in halsbrecherischem Tempo den Berg hinunter. Der jahrzehntealte Wagen hüpfte und schlingerte über den lockeren, unebenen Schotter, schlängelte sich am Sockel des Gebirgsgrates entlang, auf

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