Das Teehaus im Grünen
Verehrer deiner Mutter?«
»Ja. Und als sie heiratete, meinte er, er könnte seine Aufmerksamkeit mir zuwenden. Eine verrückte Idee — er ist verheiratet und lebt von seiner Frau getrennt, mußt du wissen. Es war mir klar, daß er sich nur amüsieren wollte, aber eines Tages war ich — na, ich war ein wenig deprimiert, und so ging ich mit ihm aus. Ehrlich gesagt, zweimal. Er dachte, er wäre schon am Ziel seiner Wünsche, und eines späten Abends kreuzte er hier auf. Seitdem habe ich nur noch telefonisch mit ihm gesprochen. Er ist zu langweilig. Laß ihn ja nicht herkommen, wenn du mit ihm sprichst.«
Vicky überlegte, ob das wohl die Nummer drei sei, über die Lucy sich so beharrlich ausschwieg. Nein — nicht jener ältere, charmante Schürzenjäger!
»Natürlich war es meine Schuld! Es war dumm von mir, zweimal seiner Einladung zu folgen, aber ich hatte ihn nicht für einen solchen Optimisten gehalten, daß er daraufhin gleich nachts um elf Uhr an meiner Wohnungstür erschien. Das wird er nicht noch einmal probieren!«
Nein, dachte Vicky, Brent Windro ist es bestimmt nicht. Aber es gibt irgend etwas, was Lucy traurig macht.
Wie auch immer — eines war sicher: Vicky war ein lustiger Kamerad. Wahrscheinlich war sie der einzige Mensch, mit dem Lucy zu dieser Zeit so eng zusammen leben konnte. Sie saßen übrigens nicht dauernd beieinander. Morgens gingen sie gemeinsam ins Büro, aber sie hatten verschiedene Mittagspausen, und abends kam Vicky meist als erste heim. Lucy war Chef-Sekretärin, sie hatte eine Vertrauensstellung inne und hatte abends oft noch länger im Büro zu tun. Es war schön, sich dann in einer gemütlichen Wohnung gleich an den gedeckten Tisch setzen zu können.
Sie war auch sehr erleichtert, daß Vicky ihren neuen Chef zufriedenstellte. Sie verhielt sich gewandt am Telefon, richtete gewissenhaft und korrekt alle Aufträge aus und war durchaus in der Lage, ihren bescheidenen Job auszufüllen. Zum Glück gab es keine Gelegenheit, ihrer Phantasie oder ihrer Neigung zur Romantik freien Lauf zu lassen. »Kein Anlaß für deine lieben kleinen Schwindeleien«, bemerkte Lucy spöttisch.
Vicky lachte. Sie genierte sich nicht im geringsten. Es war unmöglich, sie davon zu überzeugen, daß die nackte Wahrheit unbedingt eine Tugend sei. »Solange man keinem damit ein Leid antut, soll’s mir recht sein«, sagte sie, »vor allem wenn man die Menschen damit glücklich macht.« Lucy beendete die Diskussion jedesmal mit einem verzweifelten Achselzucken.
Auf ihrem Weg in die Kanzlei verschwand Vicky eines Morgens urplötzlich von der Seite ihrer Freundin. Lucy hörte einen lauten Seufzer, und dann war das Mädchen wie vom Erdboden verschluckt. Unmittelbar darauf redete ein netter junger Mann mit einem drolligen Akzent Lucy an, und Lucy wußte sofort, daß es Alec war.
»Verzeihung, das war doch bestimmt Miss O’Brian? Ich sah sie neben Ihnen, aber jetzt scheint sie verschwunden zu sein. Kann ich mich so getäuscht haben?«
Das war peinlich, doch Lucy hatte mehr Respekt vor der Wahrheit als ihre Freundin. »Ja, das war Vicky O’Brian. Wollten Sie sie sprechen?«
»Ja…ja, gern. Aber ich dachte, sie wäre nach Australien gereist.« Sein Gesicht drückte ungläubiges Erstaunen aus, und Lucy war wütend auf die gewissenlose Vicky.
»Nein, sie hat sich’s anders überlegt. Sie fährt nicht. Sie bleibt jetzt hier.«
»Oh... oh, vielen Dank! Dann werde ich sie doch sehen können.«
Er sah so verliebt aus, daß Lucy noch wütender wurde. Als er fort war und Vicky wieder an ihrer Seite auftauchte, meinte sie: »Wie kannst du nur so albern sein! Wo warst du denn auf einmal?«
Vicky lief feuerrot an. »In dem Geschäft da«, kicherte sie. »Ich habe ein scheußliches Tuch gekauft, das ich nie werde tragen können. Teuer war es auch noch.«
»Das geschieht dir recht. Du machst mich wahnsinnig. Ich kann dich überhaupt nicht verstehen. Warum tust du das?«
Vicky seufzte nachsichtig. »Ich habe dir doch erklärt, daß ich ihn nicht kränken will.«
»Wenn du auch nur ein bißchen weiter dächtest, wäre dir klar, daß du ihm früher oder später doch wieder begegnest und daß du ihn auf diese Weise letzten Endes noch viel mehr kränkst. Ich habe ihm jedenfalls gesagt, daß du nicht nach Australien fährst.«
»Das ist gemein. Du hättest ganz leicht so tun können, als ob ich jemand anders gewesen wäre.«
»Ich erkläre dir ein für allemal, daß ich für dich nicht lüge.«
»Das finde ich
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