Das Testament der Götter
tüchtiger zeigen.«
»Tüchtiger … Was bedeutet dieser Begriff?«
»Allen dasselbe Recht zuteil werden zu lassen. Ist das nicht unser Bestreben und unsere Richtschnur?«
»Wer behauptet das Gegenteil?« Die Stimme des Ältesten war rauh geworden. Er erhob sich und ging auf und ab. »Ich habe Eure Bemerkungen bezüglich des Zahnheilkundlers Qadasch nicht schätzen können.«
»Ich verdächtige ihn.«
»Wo ist der Beweis?«
»Mein Bericht hebt hervor, daß ich einen solchen nicht erhalten habe; und eben deshalb habe ich keinerlei Verfahren gegen ihn eingeleitet.«
»Wenn dem so ist, weshalb dann diese unnötige Feindseligkeit?«
»Um Euer Augenmerk auf ihn zu lenken; Eure Kenntnisse über ihn sind zweifelsohne vollständiger als die meinen.«
Der Älteste hielt wutentbrannt inne. »Nehmt Euch in acht, Richter Paser! Solltet Ihr andeuten, ich unterdrückte einen Vorgang?«
»Dieser Gedanke liegt mir fern; falls Ihr es für nützlich erachtet, werde ich mit meinen Nachforschungen fortfahren.«
»Vergeßt Qadasch. Weshalb plagt Ihr Denes?«
»Bei diesem Fall ist das Vergehen offenkundig.«
»War die gegen ihn vorgebrachte Klage nicht mit einer Empfehlung versehen?«
»›Folgenlos zu schließen‹ in der Tat; deshalb habe ich mich auch vorrangig darum gekümmert. Ich habe mir geschworen, diese Art von Vorgehen mit letzter Kraft zu bekämpfen.«
»Wußtet Ihr, daß ich der Urheber dieses … Rates war?«
»Ein Hoher soll ein Beispiel geben und sich seines Reichtums nicht bedienen, die einfachen Leute auszunutzen.«
»Ihr vergeßt die Notwendigkeiten des Handels.«
»An dem Tag, an dem diese die Gerechtigkeit in den Hintergrund drängen werden, wird Ägypten zum Untergang verurteilt sein.«
Pasers Erwiderung erschütterte den Ältesten der Vorhalle. Auch er hatte in seiner Jugend diese Meinung mit derselben Inbrunst vertreten. Dann waren die schwierigen Fälle gekommen, die Beförderungen, die notwendigen Versöhnungen, die Anpassungen, die Zugeständnisse an die Führung, das reife Alter …
»Was legt Ihr Denes zur Last?«
»Ihr wißt es.«
»Meint Ihr, sein Verhalten rechtfertige eine Verurteilung?«
»Die Antwort ist offensichtlich.« Der Älteste der Vorhalle konnte Paser nicht enthüllen, daß er sich soeben mit Denes besprochen und daß der Warenbeförderer von ihm verlangt hatte, den jungen Richter zu versetzen. »Seid Ihr entschlossen, Eure Ermittlung weiterzuverfolgen?«
»Das bin ich.«
»Wißt Ihr, daß ich Euch noch in dieser Stunde in Euer Dorf zurückschicken kann?«
»Das weiß ich.«
»Ändert diese Aussicht Euren Standpunkt nicht?«
»Nein.«
»Solltet Ihr für jede Form von vernünftigem Zureden unzugänglich sein?«
»Es handelt sich lediglich um einen Beeinflussungsversuch. Denes ist ein Betrüger; ihm kommen nicht zu rechtfertigende Vorrechte zugute. Weshalb sollte ich seinen Fall übergehen, da er doch in meine Zuständigkeit fällt?«
Der Älteste dachte nach. Für gewöhnlich entschied er ohne Zögern, mit der Überzeugung, seinem Land zu dienen; die Haltung Pasers rief derart viele Erinnerungen in ihm wach, daß er sich anstelle dieses jungen Richters sah, der sein Amt ohne Schwäche auszufüllen bestrebt war. Die Zukunft würde schon dafür sorgen, seine Wunschvorstellungen zurechtzustutzen, doch tat er unrecht daran, das Unmögliche zu versuchen?
»Denes ist ein reicher und mächtiger Mann; seine Gemahlin ist eine angesehene Geschäftsfrau. Dank ihrer vollzieht sich die Warenbeförderung auf geordnete und befriedigende Weise; wozu soll es gut sein, sie zu stören?«
»Versetzt nicht mich in die Rolle des Angeklagten. Wenn Denes verurteilt ist, werden die Frachtschiffe nicht aufhören, den Nil hinauf- und hinunterzufahren.«
Nach langem Schweigen faßte der Älteste sich wieder. »Waltet Eures Berufs, wie Ihr es versteht, Paser.«
9. Kapitel
Neferet sammelte sich seit zwei Tagen in einer Kammer der berühmten Schule der Heilkunde von Sais, im Delta, wo die zukünftigen Praktiker einer Prüfung unterworfen wurden, deren Inhalt nie enthüllt worden war. Viele scheiterten; in einem Land, in dem nicht selten das achtzigste Lebensjahr erreicht wurde, trachteten die Zuständigen der Gesundheitsfürsorge danach, Menschen von besonderem Wert anzuwerben.
Würde die junge Frau ihren Traum, gegen die Krankheit anzukämpfen, verwirklichen können? Ihr würden gewiß Niederlagen widerfahren, doch sie würde nicht aufgeben, den Leiden entgegenzuwirken. Indes mußte sie
Weitere Kostenlose Bücher