Das Testament der Götter
vorzuhalten.«
»Ich will das Unrecht bezwingen, das Euch widerfährt.«
»Ihr werdet mich vergessen.«
»Niemals!« Sie lächelte bewegt.
»Unsere jugendlichen Schwüre verflüchtigen sich im leichten Abendwind.«
»Nicht die meinen.«
Paser hielt inne, drehte sich zu ihr und nahm ihre Hände.
»Ich liebe Euch, Neferet. Wenn Ihr wüßtet, wie sehr ich Euch liebe …« Besorgnis verschleierte ihre Augen. »Mein Leben ist hier, Eures in Memphis. Das Schicksal hat so entschieden.«
»Meine Laufbahn ist mir einerlei. Was bedeutet alles übrige, wenn Ihr mich liebt!«
»Seid nicht kindisch.«
»Ihr seid das Glück, Neferet. Ohne Euch hat mein Dasein keinen Sinn.« Sie zog sacht ihre Hände zurück. »Ich muß nachdenken, Paser.« Er hatte das Verlangen, sie in seine Arme zu nehmen, sie so fest an sich zu drücken, daß niemand sie würde trennen können. Doch er durfte diese zarte Hoffnung nicht zerschlagen, die in ihrer Antwort leuchtete.
Der Schattenfresser wohnte Pasers Abreise bei. Dieser verließ Theben, ohne sich mit dem fünften Altgedienten unterhalten zu haben, und nahm kein belastendes Schriftstück mit. Die Durchsuchung seines Zimmers hatte sich als unergiebig erwiesen. Auch er selbst hatte keinen Erfolg gehabt. Magere Ernte: Der fünfte Altgediente hatte sich kurz in einem Marktflecken südlich der großen Stadt aufgehalten, in dem er sich als Wagenschreiner hatte niederlassen wollen. Vom verhängnisvollen Ableben seines Genossen, des Bäckers, in Angst versetzt, war er nun verschwunden.
Weder dem Richter noch dem Schattenfresser war es gelungen, ihn ausfindig zu machen. Der Altgediente wußte sich in Gefahr. Daher würde er seinen Mund halten. Beruhigt würde der Schattenfresser das nächste Schiff nach Memphis besteigen können.
24. Kapitel
Wesir Bagi hatte ein Leiden an den Beinen. Sie waren schwer, in einem Maße aufgedunsen, daß die Wölbung der Knöchel verschwunden war. Er trug deswegen stets weite Sandalen mit lockeren Riemen, ohne daß er indes die Zeit gefunden hätte, sich anderweitige Pflege zu gönnen. Je länger er sitzend in seinem Amtszimmer verweilte, desto mehr nahm die Schwellung zu; doch der Dienst am Reiche duldete weder Rast noch Abwesenheit. Seine Gemahlin Nedit hatte das große Anwesen abgelehnt, das PHARAO dem Wesir seines Amtes wegen gewährte. Bagi hatte sich ihrer Meinung gefügt, da er die Stadt dem Lande vorzog. Daher bewohnten sie ein bescheidenes Haus inmitten von Memphis, das die Ordnungskräfte Tag und Nacht bewachten. Der Erste Pharaonische Rat der Beiden Länder erfreute sich vollkommener Sicherheit; niemals, seit den Anfängen Ägyptens, war ein Wesir je ermordet, noch nicht einmal tätlich angegriffen worden. Obwohl er an der Spitze der Verwaltung des Reiches stand, bereicherte er sich nicht. Seine Pflicht hatte für ihn Vorrang vor seinem eigenen Wohl. Nedit hatte den Aufstieg ihres Gemahls schlecht ertragen; durch plumpe Gesichtszüge benachteiligt, von kleinem Wuchs und ziemlicher Beleibtheit, die sie nicht zu verringern wußte, lehnte sie öffentliches Gepränge ab und erschien bei keinem förmlichen Festmahl. Sie vermißte die Zeit, in der Bagi eine Stellung im verborgenen mit begrenzter Verantwortung bekleidet hatte. Damals war er stets früh nach Hause gekommen, hatte ihr bei der Küchenarbeit geholfen und sich um die Kinder gekümmert.
Während er auf den Palast zuging, dachte der Wesir an seinen Sohn und seine Tochter. Sein Sohn, der zunächst Handwerker gewesen, hatte sich bei dem Schreinermeister, bei dem er in der Lehre gewesen war, durch seine Faulheit ausgezeichnet. Sogleich davon unterrichtet, hatte der Wesir seinen Ausschluß aus der Werkstatt erwirkt und ihm eine Stelle als Hersteller von Hohlziegeln aufgezwungen. Diese Entscheidung als ungerecht befindend, hatte PHARAO seinen Wesir gerügt und ihn der allzugroßen Strenge gegenüber einem Mitglied seiner eigenen Familie geziehen. Jeder Wesir mußte Sorge tragen, die Seinen nicht zu bevorrechten, doch ein Übermaß im gegensätzlichen Sinne war gleichermaßen verwerflich {54} . So war Bagis Sohn eine Rangstufe emporgerückt und zum Prüfer gebrannter Ziegeln geworden. Es beseelte ihn auch kein anderer Ehrgeiz; seine einzige Leidenschaft war das Brettspiel in Gesellschaft von Burschen seines Alters. Seine Tochter bereitete dem Wesir weit mehr Befriedigung; sie glich ein ungefälliges Äußeres durch große Ernsthaftigkeit in ihrem Betragen aus und träumte davon, als Spinnerin in den Tempel
Weitere Kostenlose Bücher