Das Testament des Gunfighters
Geschwader widerwärtiger Schmeißfliegen umsummte den Kadaver.
Toller Empfang!
Die Nase rümpfend, schob Lassiter seinen Hut höher. Er beugte sich über das Tier und entdeckte die tödliche Halswunde. Jemand hatte dem armen Teufel die Kehle durchgeschnitten.
»Was zum Henker ist hier los?«, murmelte er.
Drei Herzschläge später drang ein leises Wimmern an sein Ohr.
»Miss Grant? Sind Sie es?«
Er stieg über die Hundeleiche hinweg und trat an eine angelehnte Verbindungstür, die schief in den verrosteten Angeln hing.
Mit dem Fuß schubste er sie auf.
Der Raum dahinter war die Wohnstube. Ein rechteckiges Zimmer mit morschen Dielen, verstaubten Möbeln und einem Kamin aus Adobesteinen, in dem eine Menge Unrat gestopft war. Die Luft war stickig und nur schwer zu atmen.
Marjorie Grant kauerte auf einem Sofa, die Knie gegen das Kinn gezogen. Sie starrte blicklos ins Leere und gab hin und wieder einen wimmernden Laut von sich.
»Miss Grant, ich bin’s, Lassiter«, sagte er vorsichtig. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Alles wird gut. Ich kümmere mich um Sie.«
Keine Reaktion. Die junge Frau war völlig apathisch. Ohne zu blinzeln, stierte sie auf eine Stelle auf den Dielen.
Er rückte sich einen herumstehenden Hocker heran, stellte ihn vor das Sofa und nahm Platz. Betroffen musterte er die Blondine, deren Gesicht völlig eingestürzt war.
Wie es aussah, hatte der Mord an ihrem Hund sie völlig aus der Bahn geworfen. Sie stand unter Schock.
Lassiter legte ihr sacht eine Hand auf die Schulter. »Miss Grant, sehen Sie mich an! Erkennen Sie mich? Wir haben uns bei Glenn Peters getroffen. Ich bin Lassiter.«
Sie starrte nur.
Offenbar hatte sie schon eine ganze Weile in dieser Haltung verbracht, ohne Essen und Trinken. Ihr Teint war weiß wie eine frisch gekalkte Wand.
»Ich hole Ihnen etwas zu trinken«, sagte er und stand auf.
In einem Regal über dem ramponierten Kochherd fand er mehrere Trinkflaschen unterschiedlicher Größe. Bis auf eine waren sie leer. Er nahm die Volle und füllte einen Becher mit Wasser. Auf dem Fensterbrett gewahrte er eine angebrochene Flasche Brandy. Er goss einen kräftigen Schuss in das Wasser, rührte die Mixtur mit dem Finger um und begab sich nach nebenan.
Marjorie Grant saß noch genauso da wie vorhin.
»Hier, trinken Sie!« Er reichte ihr das Wasser.
Sie blickte durch den Becher hindurch, als würde er gar nicht existieren.
Lassiter schob sich neben die Frau auf das Sofa. Ganz vorsichtig bog er ihren Kopf nach hinten und setzte den Becher an ihre Lippen. Willenlos ließ sie alles mit sich geschehen. Ihr Körper ließ jegliche Spannung vermissen. Während er ihr zu trinken gab, lief die Hälfte des Wassers an ihren Mundwinkeln herunter und tropfte auf ihr Hemd.
Dann verschluckte sie sich plötzlich und bekam einen Hustenanfall.
Lassiter klopfte ihr den Rücken. Insgeheim hoffte er, dass sie durch den Husten wieder zur Besinnung kam.
Fehlanzeige. Nachdem der Krampf vorbei war, starrte sie weiter auf die Dielen.
Lassiter wurde klar, dass er die Hilflose nicht ihrem Schicksal überlassen durfte. Allein auf der Ranch würde sie jämmerlich zugrunde gehen. Ob er wollte oder nicht, er musste sie mit nach Tombstone nehmen. Debby Fuller würde bestimmt nicht nein sagen, wenn er sie bat, sich um Marjorie zu kümmern.
»Kommen Sie, Miss Grant«, sagte er und packte sie an. »Wir zwei Hübschen unternehmen jetzt einen kleinen Ausritt. In Tombstone wird man Ihnen helfen. Ich verspreche Ihnen, dass Sie bald wieder auf dem Damm sind.«
Die Frau hing wie eine Marionette an ihm, als er sie aus dem Zimmer geleitete. Im Vorraum summten die Fliegen um den Kadaver. Lassiter nahm die Frau wie ein Kind auf die Arme und trug sie über den toten Hund hinweg ins Freie.
Im Stall wieherte ein Pferd.
Lassiter setzte seinen Schützling behutsam an den Brunnen. Dann ging er zu der Stute in den Stall. Das Tier stieg aufgeregt auf die Hinterhand, als er ihm den Sattel überwarf. Er musste das Pferd hart anpacken, damit es gehorchte.
Nachdem er den Widerstand gebrochen hatte, führte er das gesattelte Pferd zum Ziehbrunnen.
Hier erwartete ihn eine böse Überraschung: Marjorie Grant stand neben seinem Pferd, in der Rechten einen großen Revolver, mit dem sie auf ihn zielte.
»Du hast Carson getötet!«, kreischte sie. »Dafür wirst du sterben, Elender! Ein Hund für den anderen!«
Ein Feuerstoß zuckte aus dem Revolverlauf, und Lassiter brach, von einer Kugel getroffen,
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