Das Testament des Satans
durch.
Was für ein grauenhafter Albtraum – Vittorino ermordet!
Und trotz meiner Anspannung, trotz Yannics eindringlicher Warnungen bin ich eingeschlafen. Dabei will ich doch heute Nacht in die Bibliothek, um das Testament des Satans zu suchen.
Ein leises Rascheln neben meinem Bett.
Jemand ist hier.
Blinzelnd schlage ich die Augen auf. Doch was ich über mir erkenne, ist nicht Saint-Michel, der von einem Strahlenkranz umgebene Erzengel, der mich vom bestickten Betthimmel herab anlächelt.
Kein Engel, sondern ein Dämon – der verhüllte Schemen aus meinem Traum, der sich über mich beugt!
Es ist noch nicht vorbei!
Ich spüre einen schmerzhaften Stich in meiner Brust. Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren.
Hat er bemerkt, dass ich aufgewacht bin?
Mit gesenkten Lidern beobachte ich ihn im Schein der Stundenkerze, die am anderen Ende des Gästesaals vor den Kaminen brennt. Mit der Kerze bekämpfe ich meine Furcht vor der Dunkelheit. Seit ich in Jerusalem im Labyrinth unter dem Tempelberg eingemauert und in Rom in einem Gewölbe des Lateranpalastes verschüttet war, schlafe ich nur noch bei Licht.
Aus den Augenwinkeln nehme ich ein Aufblitzen wahr, ein Schimmern von Metall. Er hat einen Dolch in der Hand.
Eine Windbö des heraufziehenden Sturms dröhnt gegen die Fenster und lässt die Scheiben klappern. Der Schemen blickt auf. Im rötlichen Licht des Vollmonds kann ich sein Gesicht erahnen.
Erschrocken halte ich den Atem an.
Kein Engelsgesicht wie in meinem Albtraum! Vielmehr eine grauenhaft verzerrte Fratze wie von einem der dämonischen Wasserspeier an der Fassade von Notre-Dame de Paris! Ein Dämon aus dem Gefolge des Satans? Oder ein Mensch?
Nein, er muss einer der Mönche sein!
Der Prior, Père Yvain, hat mir gestern früh nach meiner Ankunft in der Abtei alle vierundzwanzig Mönche vorgestellt, bevor ich das Stundengebet mit ihnen feierte – das dachte ich zumindest: Abelard de Montbard, Jourdain des Îles, Padric of Caernarfon, Robin FitzAlan of Arundel, Conan de Saint-Brieuc, Raymond de Troyes. Und Yannic, den ich vor zwei Jahren in Rom kennengelernt habe, als er den Abt des Mont-Saint-Michel, Kardinal d’Estouteville, im Vatikan aufsuchte und ich mich vom Papst verabschiedete, um mit Yared und unserem Sohn nach Granada aufzubrechen.
Ich blinzele.
Was tut er?
Er beugt sich vor und stellt etwas auf den Nachttisch. Ein Gefäß, aus dem in silbernen Fäden duftender Rauch zur Decke aufsteigt. Der leise Windhauch von den Fenstern verwirbelt ihn und weht ihn zu mir herüber, sodass ich ihn einatmen muss.
Ich schnuppere. Ich kenne diesen schweren, süßen Duft aus Granada, aus Yareds Schlafzimmer, wenn wir nach einem anstrengenden Tag in der Alhambra entspannen wollten, um uns der Sinnenlust hinzugeben und uns zu lieben …
Es ist Haschisch.
Daher der Albtraum. Und das Herzrasen.
Daher der Schwindel und die Übelkeit, die mich packen.
Ich muss die Luft anhalten, damit ich mich nicht wieder übergebe, wie gestern Abend beim Duft der überbackenen Coquilles Saint-Jacques à la normande, der Jakobsmuscheln normannische Art, im Refektorium am Tisch des Priors. Zur Beruhigung hat Yannic, der wohl ahnte, wie aufgewühlt ich nach all diesen Wochen noch bin, mir einen Becher Calvados gereicht. Zitternd habe ich den bernsteinfarbenen Apfelbrand hinuntergestürzt.
Meinem Ruf konnte dieser peinliche Vorfall nichts mehr anhaben. Die Fratres wissen, wer ich bin. Alessandra d’Ascoli, die illegitime Tochter des Inquisitors von Rom, die vor zwei Jahren nach einem Inquisitionsprozess auf dem Scheiterhaufen brennen sollte und im letzten Augenblick vom Papst gerettet wurde. Alessandra Colonna, die humanistische Gelehrte, als Contessa des Patrimonium Petri die Stellvertreterin Seiner Heiligkeit und die Vertraute von Papst Nikolaus. Al-Iskandra al-Rûmi, die einen Juden geheiratet hat, Prinz Yared al-Gharnati, den Wesir von Granada, und die mit ihm am Hof des Sultans lebte, bis Yared vor vier Monaten ermordet wurde.
»Die Inquisitoren hätten dich verbrennen sollen, comme la Pucelle Jeanne d’Arc!«, zischt der schwarze Schatten hasserfüllt. »Möge Gott dich in alle Ewigkeit verfluchen. Möge Saint-Michel deine Seele richten und in die Hölle hinabwerfen!«
Ich halte den Atem an und wage nicht, mich zu bewegen. Plötzlich blitzt die Klinge des Dolches im Licht des Blutmondes auf.
Er beugt sich über mich. Der Dolch ist nur wenige Fingerbreit von meiner Kehle entfernt!
Durch die halb geschlossenen
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