Das Testament eines Excentrischen
ersten Personen, deren Namen gezogen worden waren, hab’ ich mittelst eingeschriebenen Briefes Mittheilung von den Bestimmungen des Entseelten zugehen lassen und sie eingeladen, beim Leichenzuge mit an der Spitze zu gehen, habe sie auch dringend ersucht, sich der Pflicht, dem Verstorbenen die letzten Ehren zu erweisen, nicht zu entziehen…
– Sie werden sich wohl hüten, auszubleiben, rief Thomas R. Carlisle, denn aller Vermuthung nach dürften sie von dem Testator sehr reichlich bedacht sein, wenn er sie nicht gar als alleinige Erben eingesetzt hat.
– Das wäre ja möglich, meinte Tornbrock, erstaunen würde ich darüber wenigstens nicht.
– Und welchen Bedingungen müssen die durch das Los bestimmten Personen entsprechen? erkundigte sich Georges B. Higginbotham.
– Nur einer einzigen, erklärte der Notar, sie müssen in Chicago geboren und hier wohnhaft sein.
– Wie… keiner andern?
– Keiner!
– Gut, das ist abgemacht, sagte Thomas R. Carlisle; doch wann werden Sie, Herr Tornbrock, das eigentliche Testament eröffnen?
– Vierzehn Tage nach dem Begräbniß.
– Erst in vierzehn Tagen?…
– Erst dann… wie es eine hier folgende Anmerkung vorschreibt… also am fünfzehnten April.
– Und warum diese Verzögerung?
– Weil mein Client, ehe er seinen letzten Willen öffentlich bekannt werden ließe, wünschte, die zweifellose Gewißheit erlangt zu sehen, daß er unwiderruflich aus dieser Welt geschieden sei.
– Ein praktischer Mann, unser Freund Hypperbone! meinte Georges B. Higginbotham.
– Man könnte es unter so ernsten Umständen gar nicht noch mehr sein, setzte Thomas R. Carlisle hinzu, und wenn man sich nicht gerade verbrennen ließe…
– Da liefe man, beeilte sich der Notar einzuwenden, auch noch Gefahr, lebendig verbrannt zu werden…
– Gewiß, stimmte der Clubvorsitzende ihm zu, doch wenn das einmal geschehen ist, weiß einer wenigstens, daß er sicherlich todt ist!«
Von einer Einäscherung der Leiche William I. Hypperbone’s war indeß keine Rede – diese lag schlecht und recht in einem Prunksarge unter dem Behange des Wagens.
Selbstverständlich hatte sich die Nachricht von dem Heimgange William I. Hypperbone’s in der Stadt schnell verbreitet und eine wahrhaft wunderbare Wirkung hervorgebracht.
Von der ersten Stunde an wußte man darüber folgendes:
Am Nachmittage des 30. März hatte das ehrenwerthe Mitglied des Excentric Club mit zwei seiner Collegen vor der Tafel des edlen Gänsespiels gesessen. Eben hatte er den ersten Wurf gethan und dabei neun (6+3) erzielt – ein sehr glücklicher Anfang, der ihn gleich nach dem sechsundfünfzigsten Felde brachte.
Da steigt ihm das Blut zu Gesicht, seine Glieder strecken sich aus. Er will sich erheben, taumelt bei dem Versuche, streckt die Hände vor und wäre unfehlbar auf dem Parquet zusammengebrochen, wenn John T. Dickinson und Harry B. Andrews ihn nicht in den Armen aufgefangen und auf ein Sopha niedergelegt hätten.
Jetzt galt es, schleunigst einen Arzt herbeizuschaffen. Es kamen ihrer gleich zwei. Ihre Aussage ging dahin, daß William I. Hypperbone einer Gehirncongestion erlegen, daß es mit ihm vorbei sei, und, das weiß der Himmel, der Doctor H. Burnham aus der Cleveland Avenue und der Doctor S. Buchanan aus der Franklin Street verstanden sich auf Todesfälle.
Eine Stunde später war der Verblichene schon nach dem Wohnzimmer in seinem großen Hause geschafft und der sofort benachrichtigte Notar Tornbrock, ohne einen Augenblick zu verlieren, dahin geeilt.
Die erste Sorge des Notars bestand darin, den Umschlag zu erbrechen, der bezüglich der Bestattung die Anordnungen des Entschlafenen enthielt. Durch diese wurde er beauftragt, ohne Zögern die sechs Personen auslosen zu lassen, die sich dem Gefolge beim Begräbniß anschließen sollten und deren Namen mit mehreren hunderttausend andern in einer großen, in der Mitte der Hausflur stehenden Urne enthalten waren.
Als diese wunderliche Vorschrift bekannt wurde, überfiel den Notar Tornbrock, wie man sich leicht denken kann, eine ganze Wolke von Journalisten, die Berichterstatter der »Chicago Tribune«, des »Chicago Inter-Ocean« und des »Chicago Evening Journal« (das sind lauter republikanische, also conservative Blätter), ebenso wie die des »Chicago Globe«, »Chicago Herald«, der »Chicago Times«, »Chicago Mail« und »Chicago Evening Post« (lauter demokratische, also liberale Blätter), ihnen schlossen sich aber auch die der »Chicago Daily News«,
Weitere Kostenlose Bücher