Das Testament eines Excentrischen
aber nicht mehr, als wenn es vollkommen unfruchtbar wäre, wie vor fünfzig Jahren, wo hier noch keine Menschenhand thätig gewesen war.
Californien hat ein ihm eigenthümliches Klima. Die Hitze ist hier im September ärger als im Juli. Die isothermischen Linien folgen nicht denselben Parallelen, wie in der übrigen Union. Die über der grenzenlosen Wasserwüste des Großen Oceans entstehenden Stürme erreichen den Staat nicht alle. Die einen werden von den Küstengebirgen aufgehalten, andere stoßen sich an den Grat der Sierra Nevada. Dadurch lösen sie sich in Regenfälle auf und tragen wesentlich zum Gedeihen der Coniferen bei, die – es sind Fichten, Weiden, Eiben-und Lärchenbäume, Cedern und Cypressen – von fünf-bis sechshundert Toisen Höhe an die Abhänge der Bergkette bedecken. Darunter finden sich Baumriesen, die Sequoias oder Bigtrees, von den Amerikanern auch Washingtonias, von den Engländern Wellingtonias genannt, die bei einem Umfange von nicht weniger als sechzig Fuß (18 1 / 4 Meter) eine Höhe von dreihundert Fuß (91 1 / 2 Meter) erreichen.
Wer waren denn diese interesselosen Reisenden?… Woher kamen, wohin gingen sie wohl?… Waren es leicht in Feuer gerathende Californier, schnell fortgelockt durch die Entdeckung neuer Lagerstätten, oder wollten sie erst nach neuen Placers suchen, da doch die Hoffnung berechtigt erscheint, daß die sechs, im Laufe von vierzig Jahren erbeuteten Milliarden die letzten Lagerstätten dieses goldführenden Bodens noch nicht erschöpft haben? Der Boden enthält übrigens auch noch andere werthvolle Schätze, vorzüglich am Rande der Küstengebirge, wie Zinnober, das Sulfat des Quecksilbers, eine natürliche Schminke, wovon in den Gruben von New Almaden zwischen 1850 und 1885 hundert Millionen Pfund, also hunderttausend Tonnen, gewonnen wurden.
Die Reisenden konnten vielleicht auch zu den Gründern von »Bonanzas farms«, zu den Mitgliedern der großen Syndicate zur Ausbeutung des Ackerlandes gehören, zu den Leuten, die die kleinen Landleute wegen der ungeheueren Capitalien, die ihnen England liefert, am meisten zu fürchten haben. Wie sollte das Geld auch nicht dahin strömen, wo der Weinstock Trauben von mehreren Pfunden, der Birnbaum Früchte von anderthalb Fuß (45 Centimeter) Umfang hervorbringt?
Ganz wie Texas längst Farmen mit einer Million Hektar hat, trifft man deren auch in Californien mit einer Bodenfläche von zwölfhundert Quadratkilometern.
Jedenfalls mußten es reiche und sehr pressierte Leute sein, da sie sich den Luxus eines Sonderzuges gestattet hatten, wo ihnen doch die regelmäßigen Züge der Southern Pacificbahn zur Verfügung standen. Das hätte ihnen kaum einen halben Tag Verzögerung gekostet und nicht mehrere tausend Dollars, die sie nicht geglaubt hatten, sparen zu sollen.
Jedenfalls brauste die Locomotive unter Volldampf dahin, und da auf dieser Linie nicht so viel Züge verkehren, hatte man den Extrazug leicht einschieben können. Ueberdies handelte es sich dabei nur um eine verhältnißmäßig kurze Strecke auf der Seitenlinie, die, von Beno ausgehend, über Carson City, die Hauptstadt von Nevada, führt, bei der Station Bentom die Grenze des Staates Californien überschreitet und an der Station Keeler endigt – das sind etwa zweihundertvierzig Meilen (386 Kilometer), die in sechs bis sieben Stunden zurückgelegt werden konnten.
Das erfolgte denn auch in diesem Zeitraume und ohne daß ein Unfall die geringste Verzögerung herbeiführte.
Um elf Uhr des Vormittags stieß die Locomotive, eine Viertelmeile (400 Meter) vor dem Bahnhofe von Keeler, wo sie halten sollte, die letzten Dampfwolken hervor.
Zwei Männer sprangen auf den Bahnsteig; sie führten nur das nothwendigste Gepäck, einen Reisesack und eine offenbar noch gar nicht angegriffene Proviantkiste mit sich. Jeder trug außerdem eine größere Handtasche und einen umgehängten Carabiner. Der eine von ihnen trat an die Locomotive heran und sagte zu deren Führer: »Warten Sie hier!« als ob er mit einem Kutscher spräche, dessen Wagen man für kurze Zeit verläßt, um einen Besuch zu machen.
Der Führer nickte zustimmend und beeilte sich, seinen Zug auf ein Nebengeleise zu bringen, um den Verkehr nicht zu stören.
Der Reisende begab sich dann mit seinem Begleiter zum Ausgange des Bahnhofes und traf hier auf ein Individuum, das ihn offenbar erwartet hatte.
»Ist der Wagen da? fragte er kurz und bündig.
– Seit gestern.
– Und gut im Stande?
–
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