Das Testament eines Excentrischen
niederen Welt giebt es nun einmal Glück und Unglück überall. Die guten und die schlechten Lose reiben sich im Menschenleben und folgen einander oft mit elektrischer Geschwindigkeit. Hier sollte aber, wie durch ein Eingreifen der Vorsehung, die fast verzweifelte Lage des Commodore doch noch eine Wendung zum Besseren erfahren.
Um zwölf Uhr siebenunddreißig Minuten signalisierte der Semaphor von Key West ein Schiff in fünf Meilen Entfernung auf offener See.
Die vor dem Telegraphenbureau angestaute Menge von Neugierigen strömte nun, und Hodge Urrican an der Spitze, nach einer Anhöhe mit weiter Aussicht aufs Meer.
In der angegebenen Entfernung zeigte sich wirklich ein Schiff, ein Dampfer, der am Horizonte jetzt eine lange, dunkle Rauchsäule nachschleppte.
Da wurde es lebendig unter der Menschenmenge.
»Wird das Schiff denn auch Key West anlaufen?
– Und wenn das der Fall ist, wird es hier liegen bleiben oder noch heute weiterdampfen?
– Selbst wenn es weitergeht, wird es dann nach einem Hafen von Alabama, des Mississippi oder von Louisiana, nach New Orleans, Mobile oder Pensacola steuern?
– Ja, und wenn es seinen Curs auch nach einem dieser Häfen richtet, wer weiß, ob es schnell genug läuft, um die Ueberfahrt dahin in achtundvierzig Stunden zu vollenden?«
Hier kamen also vier unumgängliche Bedingungen in Frage.
Alle sollten sich erfüllen. Der »Präsident Grant« sollte in Key West nur wenige Stunden vor Anker gehen, und noch am Abend nach Mobile weiterfahren; dazu war es ein sehr schneller Dampfer, vielleicht einer der schnellsten der gesammten Handelsflotte der Vereinigten Staaten.
Selbstverständlich wurden Hodge Urrican und Turk an Bord als Passagiere aufgenommen, und der Capitän Humper legte für den Commodore ebensoviel Interesse an den Tag, wie es der Capitän des »Sherman« Tom Crabbe gegenüber bewiesen hatte.
Bei ruhigem Meere und leichter Südostbrise entwickelte der »Präsident Grant« seine größte Fahrgeschwindigkeit, gegen zwanzig Knoten (5 geographische Meilen) in der Stunde, mit der er schon in der Nacht des 27. in Mobile eintreffen konnte.
Nach Entrichtung eines reichlich bemessenen Fahrgeldes sprang Hodge Urrican, dem Turk nacheilte, in den ersten Bahnzug, der die siebenhundert Meilen (1126 Kilometer) zwischen Mobile und Saint-Louis in zwanzig Stunden zurücklegte.
Hierbei ereigneten sich die uns schon bekannten Vorfälle, die Schwierigkeiten mit dem Stationsvorsteher in Herculanum, die Nothwendigkeit für Hodge Urrican, nach Saint-Louis zu fahren, um seinen Reisesack zu reclamieren, das Zusammenprallen mit Harris T. Kymbale die Herausforderung des Reporters, die Rückkehr nach Herculanum am nämlichen Abend, die Wiederabfahrt am folgenden Morgen, der Kugelwechsel während der Kreuzung beider Züge und die Ankunft in Saint-Louis. Von hier aus führte die Eisenbahn den Commodore am 30. nach Topeka, dann mittelst der Union Pacificlinie am 31. nach Ogden, ferner nach Reno, von wo er des Morgens um sieben Uhr nach Keeler abdampfte.
Wenn der Commodore Urrican aber in Keeler eintraf, war er noch lange nicht im Death Valley, an dem Punkte, wohin er sich in Californien zu begeben hatte.
Nun gab es leider keine mehr oder weniger fahrbare Straße zwischen Keeler und dem Death Valley, überhaupt fehlte es an jedem regelmäßigen Verkehrsmittel, an jedem Relais, jeder Postverbindung. Sollte er nun die Strecke von vierhundert Meilen (643 Kilometer) hin und zurück in so kurzer Zeit zu Pferde zurücklegen, denn so lang wurde der Weg durch viele, in bergigem Terrain gelegene Windungen? Das wäre unmöglich gewesen.
Dagegen hatte Hodge Urrican bei seinem kurzen Aufenthalt in Saint-Louis den vortrefflichen Gedanken gehabt, in Sacramento telegraphisch anzufragen, ob man ihm ein Automobil zur Verfügung stellen könnte, und auf die bejahende Antwort hin hatte er den Auftrag gegeben, es nach Keeler an den Bahnhof zu schicken, wo das Gefährt, wie wir wissen, ihn denn auch erwartete.
Das Automobil war von vorzüglichster Construction. Zwei Tage mußten hinreichen, nach dem Death Valley zu gelangen, zwei weitere Tage, von dort zurückzukehren, so daß der Reisende vor dem 8. Juni in Chicago eintreffen konnte. Dem alten Seebären schien das Glück entschieden wieder einmal zu lächeln.
Infolge der eben erwähnten Abmachungen befand sich das Automobil also am 1. Juni bei der Ankunft des Zuges schon in Keeler und verließ diese kleine Stadt wieder auf dem Wege nach Osten und in der
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