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Das Testament eines Excentrischen

Das Testament eines Excentrischen

Titel: Das Testament eines Excentrischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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oben an einer breiteren Galerie, welche unmittelbar nach dem sehr geräumigen Saal der Rotunde hinführt.
    Von hier aus verzweigen sich die vielfachen Seitengänge, deren gewundenen Verlauf man kennen muß, um nicht in die Gefahr zu kommen, sich zu verirren, wenn man etwa aus Sparsamkeit auf die Begleitung eines Führers verzichtet hatte. Es giebt nirgends ein verwickelteres Labyrinth, auch die von Lemnos und Kreta nicht ausgenommen.
    Durch einen langen, schmalen Gang erreichten die Touristen hierauf einen der ausgedehntesten unterirdischen Räume der Mammuthhöhlen, der den Namen der Gothischen Kirche erhalten hat.
    Der gothischen?… Zeigt dieses unterirdische Bauwerk wirklich den charakteristischen Spitzbogenstil der Gothik? – Damit ist es zwar nicht so genau zu nehmen, doch bleibt es trotzdem wunderbar schön mit den Stalagmiten und Stalaktiten, die von seinem Deckengewölbe herabhängen, durch die merkwürdig gewundenen Säulen, die das Dach tragen, durch die Gestaltung der aufeinandergeschichteten Felslager, deren Krystallgebilde im Lichte flimmern, und durch die natürliche und doch so phantastische Vertheilung des Gesteins, das hier einen Altar mit allem liturgischen Schmucke, dort eine Empore mit einer Orgel darstellt, deren Pfeifen bis zu den Rippen der Deckenwölbung hinausreichen, und dort wieder einen Balkon oder eine Art Kanzel bildet, von wo aus schon mehrfach zufällig anwesende Geistliche vor einer Gemeinde von fünf-bis sechstausend Gläubigen gepredigt haben.
    Selbstverständlich theilte die Gesellschaft von Ausflüglern das Entzücken Jovita Foley’s, und überall wurden unwillkürliche Ausrufe der Bewunderung laut.
    »Nun, Lissy, bedauerst Du unsere Reise?
    – Nein, Jovita, hier ist es überraschend schön!
    – Sagst Du Dir aber auch, daß alles das das Werk der Natur ist, daß keine Menschenhand diese Grotten hätte aushöhlen können, daß wir uns tief in den Eingeweiden des Erdbodens befinden?
    – Ja – und ich erschrecke nur, antwortete Lissy Wag, bei dem Gedanken, daß man sich hier verirren könnte.
    – O, das glaub ich Dir gern, mein Herzchen, Du siehst uns schon beide in den Mammuthhöhlen verloren, so daß wir das Eintreffen des Telegramms von dem guten Herrn Tornbrock verfehlen, nicht wahr, Schatz?…«
    Eine halbe Lieue war schon von der Eingangsöffnung bis zur Gothischen Kirche zurückzulegen gewesen. Im weiteren Verlaufe des Besuches wurde es sehr häufig nöthig, sich zu bücken, zuweilen sogar durch die engen und niedrigen Gänge, die nach dem Saale der Gespenster führen, fast zu kriechen. Hier fühlte sich Jovita Foley aber schwer enttäuscht, da sie keine der geisterhaften Erscheinungen sah, die ihre Phantasie dieser tiefen, finsteren Höhle angedichtet hatte.
    Der Saal der Gespenster dient in Wirklichkeit als ein Platz zum Ausruhen. Er ist durch Fackelschein gut erleuchtet und enthält ein wohlversorgtes Büffet, wo schon das für die Bewohner des Mammoth Hotel bestimmte Frühstück bereit stand.
    Dieser Saal sollte eigentlich das Sanatorium heißen, denn hierher begeben sich nicht selten Kranke, die der Atmosphäre der kentuckyschen Grotten eine besondere Heilkraft zuschreiben. Auch heute hatten sich deren wohl zwanzig versammelt, die sich jetzt an Tischen vor dem riesigen Skelet eines Mastodons niederließen, von dem die weiten Erdhöhlen jedenfalls den Namen Mammuth erhalten haben.
    Hier endete der erste Theil der Besichtigung der Grotten, deren Besuch fortgesetzt werden sollte, wenn die Touristen erst noch in einer kleinen Kapelle, gleichsam einer Miniaturnachbildung der Gothischen Kirche, Halt gemacht hätten. Der Besuch endigt vor einem bodenlosen Abgrunde, in den die Führer angezündetes Papier zu werfen pflegen, um die schauerliche Tiefe zu beleuchten, vor dem Bottomleß-Pit, dessen ausgehöhlte Wand den sogenannten Teufelsstuhl bildet, an den sich – das Gegentheil wäre weit merkwürdiger – so manche Sage knüpft.
    Nach dem immerhin ermüdenden Wege ließen sich die Touristen gar nicht bitten, wieder nach der Galerie zurückzukehren, die nach dem Eingange zu den Grotten führt, und hierher noch lieber, als nach einem anderen Ausgange durch den Dom von Ammath, der zwar auch ziemlich in der Nähe des Hotels liegt, doch nur auf langem Umwege zu erreichen ist.
    Eine vorzügliche Mahlzeit und eine Nacht ungestörter Ruhe gaben den beiden Freundinnen für den morgigen Ausflug die nöthigen Kräfte wieder.
    Der Besuch dieser wunderbaren Höhlen – ein

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