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Das Testament

Das Testament

Titel: Das Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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waren, in das Zelt zu kriechen und verschwitzt und übelriechend Rücken an Rücken darin zu schlafen.
    Eine andere Möglichkeit hatten sie nicht. So winzig das Zelt war, es würde sie vor Moskitos und anderen Insekten schützen und auch sonstiges Getier fernhalten, das über den Boden kroch.
    Sie sprachen über das Dorf. Jevy erzählte Indianergeschichten, bei denen immer jemand umkam. Schließlich fragte er: »Haben Sie ihr von dem Geld erzählt?«
    »Nein, das mache ich morgen.«
    »Was glauben Sie, wie sie sich dazu stellt? Sie kennen sie ja jetzt ja schon ein bißchen.«
    »Keine Ahnung. Sie ist hier glücklich. Es kommt mir grausam vor, sie aus der Bahn zu werfen.«
    »Dann geben Sie doch mir das Geld! Mich wirft es nicht aus der Bahn.«
    Wie es ihm nach der Hackordnung zukam, kroch Nate zuerst ins Zelt. Da er die Nacht zuvor damit zugebracht hatte, vom Boden des Bootes aus den Sternenhimmel zu betrachten, war er entsetzlich müde.
    Als er Nate schnarchen hörte, öffnete Jevy vorsichtig den Reißverschluss des Eingangs und schob ihn behutsam ein wenig hin und her, bis er Platz hatte. Nate merkte nichts davon.

    ACHTUNDZWANZIG

    Nach neun Stunden Schlaf erhoben sich die Ipicas vor Morgengrauen, um ihren Tag zu beginnen. Die Frauen machten vor den Hütten kleine Feuer zum Kochen, gingen dann mit den Kindern zum Fluss, um Wasser zu holen und zu baden. Gewöhnlich warteten sie das Tageslicht ab, bevor sie die Pfade betraten. Es war besser, man sah, was vor einem lag.
    Die an den Gewässern im Süden Brasiliens sehr häufige Schlange, deren Biss oft tödlich ist und die auf portugiesisch urutu heißt, wurde von den Indianern bima genannt. Ayesh, ein siebenjähriges Mädchen, bei dessen Geburt die Missionarin Hilfe geleistet hatte, ging vor ihrer Mutter, statt, wie es üblich war, hinter ihr. Mit einem Mal spürte sie, wie sich unter ihrem nackten Fuß die bima wand.
    Das Tier biss Ayesh unterhalb des Fußknöchels, und das Mädchen schrie laut auf.
    Bis der Vater bei ihr war, befand sie sich im Schock, und ihr rechter Fuß war auf doppelte Dicke angeschwollen. Ein fünfzehnjähriger Junge, der schnellste Läufer des Stammes, wurde ausgesandt, um Rachel zu holen.
    An den beiden Wasserläufen, die sehr nahe der Stelle zusammenflössen, an der Jevy und Nate angelegt hatten, lagen insgesamt vier kleine Ipica-Siedlungen, und in jeder von ihnen lebte eine Sippe unabhängig von den anderen. Doch sie alle gehörten demselben Volk an, hatten dieselbe Sprache, dieselbe Kultur und dieselben Bräuche. Sie verkehrten miteinander und heirateten untereinander. Von der Flussgabelung bis zur letzten Hütte der Ipicas waren es höchstens acht Kilometer.
    Ayesh gehörte zur dritten Siedlung hinter der Gabelung, und Rachel lebte in der zweiten, der größten. Der Läufer fand sie in ihrer kleinen Hütte, in der sie seit elf Jahren lebte. Sie las gerade in der Bibel. Rasch packte sie ihre kleine Arzttasche.
    In jenem Teil des Pantanal gab es vier Arten von Giftschlangen, und häufig hatte Rachel für alle das Gegengift zur Hand. Diesmal aber nicht. Zwar wurde das Gegengift für den Biss der bima in Brasilien selbst hergestellt, doch hatte sie es bei ihrer letzten Reise nach Corumba nicht bekommen können. Die dortigen Apotheken führten weniger als die Hälfte der Medikamente, die sie brauchte.
    Sie schnürte ihre Lederstiefel zu und verließ die Hütte mit der Tasche in der Hand. Lako und zwei andere junge Männer aus ihrem Dorf begleiteten sie, während sie im Laufschritt durch die hohen Pflanzen in den Wald eilte.
    Rachels statistischen Unterlagen zufolge lebten in den vier Ansiedlungen insgesamt 239 Ipicas: 86 Frauen, 81 Männer und 72 Kinder. Als sie elf Jahre zuvor ihre Arbeit aufgenommen hatte, waren es noch 280 gewesen. Die Malaria forderte in Abständen von wenigen Jahren ihre Opfer unter den Schwächeren, und im Jahre 1991 hatte die Cholera in einem Dorf zwanzig Menschen dahingerafft.
    Hätte Rachel nicht auf einer Quarantäne bestanden, wären die meisten der Ipicas dieser Epidemie erlegen.
    Mit der Sorgfalt einer Anthropologin führte sie akribisch Buch über Geburten, Todesfälle, Hochzeiten, Stammbäume, Krankheiten und deren Behandlung. Meist wusste sie, wer eine außereheliche Beziehung hatte und mit wem. Sie kannte jeden Dorfbewohner mit Namen. Sie hatte Ayeshs Eltern in dem Fluss getauft, in dem die Dorfbewohner badeten.
    Die kleine, zierliche Ayesh musste wahrscheinlich sterben, weil kein Medikament zur Verfügung

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