Das Testament
Nate sah unwillkürlich hin, wenn auch nur eine lange Sekunde. An dieser nackten Frau oder ihren Brüsten war nichts besonders Verlockendes. Ihn erstaunte lediglich, dass sie sich ihrer Nacktheit so wenig bewusst zu sein schien.
Wo hatte er seine Kamera? Das würden die Jungs im Büro ohne Beweis nie glauben.
Die Frau gab Nate einen Holzteller, auf dem etwas lag, das aussah wie gekochte Kartoffeln. Er sah zu Jevy hin, der rasch nickte, als hätte die Indianerküche vor ihm keinerlei Geheimnisse. Die Frau bediente den Häuptling zuletzt, und als dieser mit den Fingern zu essen begann, folgte Nate seinem Beispiel. Die Speise schien so etwas wie ein Mittelding zwischen weißen Rüben und Kartoffeln zu sein und schmeckte fast nach nichts.
Jevy sprach mit dem Häuptling, während er aß, und dieser schien die Unterhaltung zu genießen. Nach jeweils wenigen Sätzen setzte Jevy Nate über das Gesagte in Kenntnis.
Das Dorf wurde nie überschwemmt, diese Indianer lebten schon seit über zwanzig Jahren da, denn der Boden war gut. Am liebsten würden sie an ein und derselben Stelle bleiben, aber bisweilen zwinge der Zustand des Ackerbodens sie weiterzuziehen. Sein Vater sei auch Häuptling gewesen. Ein Häuptling sei, so der Häuptling, der klügste, gerechteste und weiseste unter ihnen allen und dürfe sich auf keinen Fall eine außereheliche Beziehung leisten. Die meisten anderen Männer täten das, aber kein Häuptling.
Nate konnte sich nicht vorstellen, dass es darüber hinaus viel Abwechslung gab.
Der Häuptling erklärte, er habe den Paraguay noch nie gesehen. Da er lieber jage als Fische fange, verbringe er mehr Zeit in den Wäldern als auf dem Wasser.
Seine Portugiesisch-Kenntnisse habe er von seinem Vater und den weißen Missionaren.
Nate aß, hörte zu und suchte mit den Augen das Dorf nach einem Hinweis auf Rachels Anwesenheit ab.
Sie sei nicht da, erklärte der Häuptling. Sie müsse im Nachbardorf ein Kind behandeln, das von einer Schlange gebissen worden war. Er wisse nicht, wann sie zurückkehre.
Ist ja großartig, dachte Nate.
»Er möchte, dass wir heute nacht hier im Dorf bleiben«, sagte Jevy. Die Frau füllte ihre Teller nach.
»Ich wusste gar nicht, dass wir bleiben«, sagte Nate.
»Er sagt ja.«
»Sagen Sie ihm, dass ich darüber nachdenken werde.«
»Sagen Sie es ihm selbst.«
Nate verfluchte sich, weil er das Satellitentelefon nicht mitgebracht hatte.
Bestimmt machte sich Josh die größten Sorgen und schritt in seinem Büro unruhig auf und ab. Sie hatten fast eine Woche nicht miteinander gesprochen.
Jevy sagte etwas halbwegs Komisches, das durch die Übersetzung richtig witzig wirkte. Der Häuptling brüllte vor Lachen, und schon bald lachten alle anderen auch. Selbst Nate schloss sich dem Lachen an, weil es so ansteckend war.
Sie schlugen eine Einladung zur Jagd aus. Ein Trupp junger Männer führte sie zum ersten Dorf zurück an ihr Boot. Jevy wollte noch einmal die Zündkerzen säubern und versuchen, den Vergaser besser einzustellen. Nate hatte nichts weiter zu tun.
Der Anwalt Valdir Ruiz nahm Mr. Staffords frühen Anruf entgegen. Die einleitenden Förmlichkeiten nahmen nur wenige Sekunden in Anspruch.
»Ich habe seit mehreren Tagen nichts von Nate O’Riley gehört«, sagte Stafford.
»Aber er hat doch so ein Telefon«, sagte Ruiz entschuldigend, als müsse er Mr.
O’Riley in Schutz nehmen.
»Stimmt. Deswegen mache ich mir ja auch Sorgen. Er kann mich jederzeit von jedem beliebigen Ort aus anrufen.«
»Kann er es auch bei schlechtem Wetter benutzen?«
»Nein, vermutlich nicht.«
»Wir hatten hier viele Gewitter. Es ist schließlich die Regenzeit. «
»Von Ihrem jungen Mann haben Sie auch nichts gehört?«
»Nein. Sie sind zusammen unterwegs. Er ist ein sehr guter Führer. Auch das Boot ist sehr gut. Bestimmt fehlt ihnen nichts.«
»Warum höre ich dann nichts von ihm?«
»Dazu kann ich nichts sagen. Aber der Himmel war ständig bedeckt. Vielleicht kann er sein Telefon dann nicht benutzen.«
Sie vereinbarten, dass sich Ruiz melden sollte, sobald er etwas erfuhr. Er trat ans offene Fenster und sah auf Corumbas geschäftige Straßen hinaus. Der Paraguay floss am Fuß des Hügels entlang. Es gab zahllose Berichte von Menschen, die ins Pantanal gegangen und nie zurückgekehrt waren. Das gehörte zur Überlieferung und trug zur Verlockung bei.
Jevys Vater hatte dreißig Jahre lang die Flüsse als Lotse befahren, und man hatte seinen Leichnam nie gefunden.
Eine Stunde
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