Das Testament
Er hilft Ihnen erst, wenn Sie Ihn darum bitten. Er ist allmächtig, aber Sie müssen sich Ihm bußfertig im Gebet nähern.«
»Und was passiert dann?«
»Ihre Sünden werden vergeben. Er wird all Ihre Schuld auslöschen. Ihre Sucht wird von Ihnen genommen. Der Herr wird alles vergeben, was Sie getan haben, und Sie werden in den Kreis derer eintreten, die an Christus glauben.«
»Und was ist mit meinen Schulden beim IRS?«
»Die bleiben bestehen. Aber Sie werden die Kraft haben, damit umzugehen. Das Gebet vermag alle Widrigkeiten zu überwinden.«
Nate waren solche Ansprachen nicht fremd. Er hatte sich schon so oft den Höheren Kräften ausgeliefert, dass er die Predigten fast selbst hätte halten können.
Geistliche, Therapeuten, Gurus und Psychiater jeglicher Art hatten ihm gut zugeredet. Er hatte sogar, als er einmal drei Jahre lang trocken gewesen war, als Berater der Anonymen Alkoholiker gearbeitet und anderen Alkoholikern im Keller einer alten Kirche in Alexandria den Zwölf-Punkte-Plan erläutert. Dann war er erneut abgestürzt.
Warum sollte sie nicht versuchen, ihn zu retten? War es nicht ihre Berufung, die Verlorenen zu bekehren?
»Ich weiß nicht, wie man betet«, sagte er.
Sie nahm seine Hand und drückte sie kräftig. »Schließen Sie die Augen, Nate, und sprechen Sie mir nach: Lieber Gott, vergib mir meine Schuld und hilf mir, dass ich denen vergebe, die an mir schuldig geworden sind.« Murmelnd sprach Nate ihr nach und drückte ihre Hand fester. Was sie sagte, klang so ähnlich wie das Vaterunser. »Gib mir die Kraft, Versuchungen und Süchte zu überwinden und die vor mir liegenden Prüfungen zu bestehen.« Murmelnd wiederholte er ihre Worte, doch das kleine Ritual verwirrte ihn. Für Rachel war es einfach zu beten, denn sie tat das ständig. Für ihn war es eine sonderbare Übung.
»Amen«, sagte sie. Sie öffneten die Augen, hielten einander aber weiter bei der Hand. Sie lauschten auf das Wasser, das mit leisem Murmeln über die Steine rieselte. Er hatte das sonderbare Gefühl, als werde seine Last von ihm genommen; seine Schultern waren weniger niedergedrückt, sein Kopf kam ihm klarer, seine Seele nicht mehr so beunruhigt vor. Doch war er so beladen, dass er nicht sicher war, welche seiner Lasten von ihm genommen waren und welche blieben.
Die wirkliche Welt machte ihm nach wie vor angst. Es war leicht, tief im Pantanal tapfer zu sein, wo es nur wenige Versuchungen gab, aber er wusste, was ihn zu Hause erwartete.
»Ihre Sünden sind Ihnen vergeben, Nate«, sagte sie.
»Welche? Es sind so viele.«
»Alle.«
»Das ist zu einfach. Mein Leben ist ein unüberschaubares Chaos.«
»Wir beten heute Abend wieder.«
»Bei mir gehört mehr dazu als bei den meisten anderen.«
»Vertrauen Sie mir. Und vertrauen Sie auf Gott. Er hat Schlimmeres gesehen.«
»Ihnen vertraue ich. Mit Gott hab ich so meine Probleme.«
Sie drückte seine Hand fester, und eine ganze Weile sahen sie schweigend auf das Wasser, das um sie herum strömte. Schließlich sagte sie: »Wir müssen gehen.«
Aber sie rührten sich nicht.
»Ich habe über diese Beerdigung nachgedacht, über das kleine Mädchen«, sagte Nate.
»Was ist damit?«
»Werden wir ihren Leichnam sehen?«
»Ich denke schon. Man wird ihn kaum übersehen können.«
»Dann möchte ich lieber nicht hingehen. Ich kehre um und gehe mit Jevy ins Dorf zurück. Da warten wir dann.«
»Sind Sie sicher, Nate? Wir könnten stundenlang miteinander reden.«
»Ich möchte kein totes Kind sehen.«
»Schön. Ich verstehe.«
Er half ihr auf die Füße, obwohl sie bestimmt keine Hilfe gebraucht hätte. Sie hielten sich bei den Händen, bis sie nach ihren Stiefeln griff. Wie immer tauchte Lako aus dem Nichts auf, und schon bald waren die beiden in der Finsternis des Urwalds verschwunden.
Er fand Jevy unter einem Baum schlafend. Während sie den Rückweg antraten, achteten sie bei jedem Schritt auf Schlangen und erreichten nach einiger Zeit das Dorf.
EINUNDDREISSIG
Der Häuptling schien kein großer Wetterprophet zu sein. Das Gewitter blieb aus.
Es regnete lediglich zweimal kurz, während Nate und Jevy in den geliehenen Hängematten dösten, um den langweiligen Tag irgendwie herumzubringen. Nach jedem der beiden Schauer schien gleich wieder die Sonne, und vom nassen Lehmboden stiegen Dampfschwaden auf. Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass die beiden Männer sogar im Schatten schwitzten, obwohl sie sich sowenig wie möglich bewegten.
Sie sahen dem Treiben
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