Das Testament
der Indianer zu, wenn es etwas zu sehen gab, aber die Hitze verminderte auch deren Lust an der Arbeit und am Spiel. Als die Sonne hoch am Himmel stand, zogen sich die Ipicas in ihre Hütten oder in den Schatten dahinter zurück. Während der Regenschauer spielten die Kinder im Regen. Wenn sich Wolken vor die Sonne schoben, wagten sich die Frauen heraus, um ihre Arbeiten zu erledigen und zum Fluss zu gehen.
Der träge Lebensrhythmus hatte Nate nach einer Woche im Pantanal abgestumpft.
Jeder Tag schien ebenso zu verlaufen wie der vorige. In Jahrhunderten hatte sich nichts geändert.
Rachel kehrte mit Lako um die Mitte des Nachmittags zurück. Ihr erster Weg führte sie zum Häuptling, dem sie berichtete, was im anderen Dorf vorgefallen war. Dann sprach sie mit Nate und Jevy. Sie war müde und wollte ein wenig ausruhen, bevor sie mit Nate über die geschäftlichen Dinge sprechen wollte.
Also noch eine Stunde totschlagen, dachte Nate, während er ihr nachsah. Sie war schlank und zäh wie eine Marathonläuferin.
»Was gibt es da zu sehen?« fragte Jevy mit breitem Grinsen.
»Nichts.«
»Wie alt ist sie?«
»Zweiundvierzig.«
»Wie alt sind Sie?«
»Achtundvierzig.« -
»War sie schon mal verheiratet?«
»Nein.«
»Glauben Sie, dass sie je mit einem Mann zusammen war?«
»Warum fragen Sie sie nicht?«
»Fragen Sie sie?«
»Es interessiert mich wirklich nicht.«
Sie schliefen wieder eine Weile, denn etwas anderes gab es nicht zu tun. In ein paar Stunden würden die Indianer anfangen zu ringen, dann würde es Abendessen geben, danach würde es dunkel. Nate träumte von der Santa Loura, günstigstenfalls ein bescheidenes Boot, das aber mit jeder Stunde, die verging, großartiger wurde. In seinen Träumen ähnelte sie schon bald einer schnittigen, eleganten Jacht.
Als sich die Männer versammelten, um sich ihrer Haarpflege zu widmen und sich auf ihre Spiele vorzubereiten, machten sich Nate und Jevy aus dem Staub. Einer der kräftigeren Ipicas rief ihnen etwas zu und forderte sie mit blitzenden Zähnen auf, sich am Ringen zu beteiligen. Daraufhin entfernte Nate sich noch schneller. Er sah vor seinem geistigen Auge, wie ihn irgendein stämmiger kleiner Krieger mit wild schlenkernden Genitalien zu Boden schleuderte. Auch Jevy schien der Sache keinen Geschmack abgewinnen zu können. Rachel rettete sie.
Sie wanderte mit Nate zum Fluss hinüber, an die alte Stelle unter den Bäumen.
Dort saßen sie auf der schmalen Bank so dicht beieinander, dass ihre Knie sich wieder berührten.
»Es war klug von Ihnen, nicht hinzugehen«, sagte sie. Ihre Stimme klang müde.
Die Ruhepause hatte offensichtlich nicht die gewünschte Erholung bewirkt.
»Warum?«
»Jedes Dorf hat einen Heilkundigen, shalyun heißt er in der Sprache der Menschen hier, der seine Medizin aus Kräutern und Wurzeln braut. Außerdem beschwört er Geister, die bei allen möglichen Schwierigkeiten helfen sollen.« »Ach so, der gute alte Medizinmann.«
»Etwas in der Art. Eher ein Zauberheiler. In der Welt der Indianer gibt es viele Geister, und die shalyun vermitteln angeblich im Umgang mit ihnen. Auf jeden Fall sind diese Männer meine natürlichen Feinde, denn ich bedrohe ihre Stellung.
Daher suchen sie fortwährend nach Möglichkeiten, mir eins auszuwischen. Sie belästigen Angehörige ihres Stammes, die sich zum Christentum bekennen. Vor allem Neubekehrten setzen sie zu. Sie wollen, dass ich von hier verschwinde, und liegen den Häuptlingen unaufhörlich in den Ohren, sie sollten mich fortschicken.
Es ist Tag für Tag ein neuer Kampf. Im letzten Dorf unten am Fluss hatte ich eine kleine Schule, in der ich den Leuten Lesen und Schreiben beigebracht habe.
Wenn sie auch in erster Linie für Gläubige gedacht war, so stand sie doch allen anderen offen. Als nun vor einem Jahr in jenem Dorf drei Menschen an Malaria gestorben sind, hat der dortige shalyun dem Häuptling eingeredet, diese Krankheit sei eine Strafe für meine Schule. Jetzt ist sie geschlossen.«
Nate hörte ihr zu, ohne selbst etwas zu sagen. Seine Bewunderung für ihren Mut war grenzenlos. Die Hitze und der träge Lebensrhythmus hatten ihn zu der Annahme verleitet, dass die Ipicas ein friedliches Leben führten. Kein Besucher hätte vermutet, dass ein Kampf um ihre Seelen tobte.
»Die Eltern Ayeshs, des Mädchens, das am Schlangenbiss gestorben ist, sind überzeugte Christen. Der shalyun hat überall herumerzählt, es wäre ihm ohne weiteres möglich gewesen, die Kleine zu retten,
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