Das Testament
zeigte auf das gelb schattierte Schwemmland des Pantanal. Es nahm den gesamten Nordwesten des Staates ein und erstreckte sich nach Norden ins Mato Grosso und westlich bis nach Bolivien. Hunderte von Flussläufen und kleineren Gewässern durchzogen das Gebiet. Man sah auf der Karte weder kleine noch große Städte, weder Straßen noch Autobahnen. Zweihundertfünfzigtausend Quadratkilometer Sumpf, erinnerte sich Nate, hatte er in einer der zahlreichen Beschreibungen gelesen, die ihm Josh auf die Reise mitgegeben hatte.
Valdir steckte sich eine Zigarette an, während sie gemeinsam die Karte betrachteten. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht. Am westlichen Rand der Karte in der Nähe der bolivianischen Grenze waren vier rote Kreuze eingezeichnet.
»Dort leben Eingeborenenstämme«, sagte er und wies auf die Kreuze. »Guato und Ipica.«
»Wie groß sind die?« fragte Nate und beugte sich dicht über die Karte. Es war sein erster Blick auf das engere Gebiet, das er auf der Suche nach Rachel Lane durchforschen sollte.
»Das weiß niemand genau«, sagte Valdir sehr langsam und betont. Er gab sich große Mühe, den Amerikaner mit seinem Englisch zu beeindrucken. »Vor hundert Jahren gab es sehr viel mehr von ihnen. Aber mit jeder Generation nimmt die Zahl der Stammesangehörigen ab.«
»Wie viel Kontakt haben sie mit der Außenwelt?« wollte Nate wissen.
» Sie kommen mit ihr kaum in Berührung. Ihre Kultur ist in tausend Jahren unverändert geblieben. Sie treiben einen gewissen Handel mit den Besatzungen der Flussboote, haben aber nicht das Bedürfnis, ihr Leben zu ändern.«
»Und weiß man, wo sich die Missionare aufhalten?«
»Schwer zu sagen. Ich habe mit dem für den Südteil des Mato Grosso zuständigen Gesundheitsminister gesprochen, den ich persönlich kenne. In seinem Ministerium hat man eine ungefähre Vorstellung davon, wo die Missionare tätig sind. Außerdem habe ich Kontakt mit einem Vertreter der FUNAI aufgenommen, unserer für Indianerfragen zuständigen Behörde.« Valdir wies auf zwei der Kreuze. »Hier leben Guato. Wahrscheinlich leben dort Missionare.«
»Und sind ihre Namen bekannt?« fragte Nate, doch hätte er sich die Frage ebenso gut sparen können. Einer weiteren Aktennotiz Joshs zufolge war Valdir der Name Rachel Lane nicht mitgeteilt worden. Man hatte ihm lediglich gesagt, dass die gesuchte Frau für World Tribes Missions arbeitete.
Valdir schüttelte lächelnd den Kopf. »Das wäre zu einfach. Sie müssen verstehen, dass mindestens zwanzig verschiedene amerikanische und kanadische Organisationen Missionare nach Brasilien entsandt haben. Es ist nicht schwer, in unser Land zu gelangen, und jeder kann sich hier ungehindert bewegen. Das gilt vor allem in den unentwickelten Gebieten. Niemand kümmert sich so recht darum, wer sich da draußen aufhält und was die Leute da treiben. Wir sind der Ansicht, wenn es Missionare sind, kann es nichts Schlechtes sein.«
Nate zeigte auf Corumba und dann auf das dem Ort am nächsten liegende rote Kreuz. »Wie lange dauert es von hier bis da?«
»Kommt drauf an. Mit dem Flugzeug etwa eine Stunde. Mit dem Boot zwischen drei und fünf Tagen.«
»Und wo ist dann mein Flugzeug?«
»So einfach ist das nicht«, sagte Valdir und holte eine weitere Karte hervor. Er entrollte sie und legte sie auf die erste. »Das ist eine topographische Karte des Pantanal, und das hier sind fazen-das.«
»Was ist das?«
»Fazendas? Große landwirtschaftliche Betriebe.«
»Ich dachte, das ist alles Sumpf.«
»Nein. Viele Gebiete liegen gerade hoch genug, dass man auf ihnen Viehzucht treiben kann. Die Fazendas hat man vor zweihundert Jahren angelegt. Sie werden nach wie vor von den pan-taneiros betrieben. Nur wenige von ihnen sind mit Booten zu erreichen, weshalb die Leute Kleinflugzeuge benutzen. Die Start-und Landepisten sind blau gekennzeichnet.«
Nate sah, dass es in der Nähe der Indianergebiete nur sehr wenige solche Pisten gab.
Valdir fuhr fort: »Selbst wenn Sie dahin fliegen würden, müssten Sie anschließend mit einem Boot weiterfahren, um zu den Indianern zu gelangen.«
»Wie sehen diese Pisten aus?«
»Es sind Grasbahnen. Manchmal werden sie abgemäht, manchmal nicht. Die Kühe bereiten die größten Schwierigkeiten.«
»Wieso das?«
»Nun ja, sie fressen gern Gras. Manchmal ist eine Landung schwierig, weil sie gerade die Landebahn abfressen.« Er sagte das ohne die geringste Absicht, witzig zu sein.
»Kann man die denn nicht verscheuchen?«
»Ja, wenn
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