Das Testament
Hotelangestellte am Empfang konnte zwar genug Englisch, um ihn mit der Auslandsvermittlung zu verbinden, aber von da an ging es nur noch auf portugiesisch weiter. Er probierte sein neues Mobiltelefon aus, aber offensichtlich lag Corumba in einem Funkloch.
Er streckte seinen müden Körper auf der ganzen Länge des klapprigen Betts aus und schlief ein.
Valdir Ruiz war zweiundfünfzig Jahre alt, klein, hatte eine schmale Taille, olivbraune Haut und trug die wenigen Haare, die ihm geblieben waren, nach hinten gekämmt. Sie glänzten ölig. Seine schwarzen Augen waren von zahlreichen Fältchen umgeben, Ergebnis dreißigjährigen starken Rauchens. Als Siebzehnjähriger hatte er ein Jahr lang mit einem Stipendium der Rotarier als Austauschstudent bei einer Familie in lowa gelebt und war stolz auf sein Englisch, für das er normalerweise in Corumba nicht viel Verwendung hatte. Um in Übung zu bleiben, sah er sich abends meist CNN und amerikanische Unterhaltungsprogramme an.
Nach dem Jahr in lowa hatte Valdir Ruiz ein Hochschulvorbereitungsjahr in Campo Grande absolviert und dann in Rio Jura studiert. Nur zögernd war er nach Corumba zurückgekehrt, um in der kleinen Kanzlei seines Onkels zu arbeiten und sich um seine Eltern zu kümmern. Länger als ihm lieb war, hatte er den gemächlichen Rhythmus einer Anwaltstätigkeit in Corumba ertragen und gleichzeitig davon geträumt, wie es in der großen Stadt gewesen wäre.
Aber er war ein freundlicher Mann und, wie die meisten Brasilianer, mit dem Leben zufrieden. Er führte seine kleine Kanzlei, die lediglich aus ihm selbst und einer Sekretärin bestand, sehr effizient. Die Sekretärin versah den Telefondienst und tippte für ihn. Am liebsten waren ihm Immobiliengeschäfte, Grundbucheintragungen, Kaufverträge und dergleichen. Valdir Ruiz war nie als Prozessanwalt tätig geworden. Das lag in erster Linie daran, dass in Brasilien das Auftreten vor Gericht nicht zum Alltag eines Anwalts gehört, denn da man dort nicht wegen jeder Kleinigkeit vor Gericht zieht, sind Prozesse eher selten.
Ruiz war erstaunt darüber, was Anwälte im Sender CNN sagten und was man dort über ihr Tun erfuhr. Warum lenken sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit so sehr auf sich? hatte er sich oft gefragt. Ein Anwalt, der Pressekonferenzen gibt und von einer Talkshow zur nächsten eilt, um sich dort über seine Mandanten auszulassen - so etwas war in Brasilien unerhört.
Senhor Ruiz’ Kanzlei lag drei Querstraßen von Nates Hotel entfernt auf einem ausgedehnten schattigen Grundstück, das sein Onkel vor Jahrzehnten erworben hatte. Da dicke Bäume mit ihrem Laub das Dach des Gebäudes beschatteten, standen die Fenster trotz der Hitze offen. Senhor Ruiz mochte die schwache Geräuschkulisse, die von der Straße hereindrang. Um Viertel nach drei sah er, dass ein Mann, den er nicht kannte, vor dem Haus stehen blieb und es musterte.
Er war ganz offensichtlich Ausländer, und zwar Amerikaner. Das konnte nur Mr.
O’Riley sein.
Die Sekretärin brachte ihnen cafezinho, den starken schwarzen Kaffee mit reichlich Zucker, den Brasilianer den ganzen Tag aus winzigen Tässchen schlürfen, und Nate war sogleich geradezu süchtig danach. Er saß in Senhor Ruiz’
Büro und bewunderte seine Umgebung: den quietschenden Ventilator an der Decke, die offenen Fenster, durch welche die Geräusche der Straße gedämpft hereindrangen, die ordentlichen Reihen verstaubter Akten in Regalen, die hinter Valdir standen - sie redeten einander bereits mit Vornamen an -, den abgetretenen Dielenboden zu ihren Füssen. Im Raum war es ziemlich warm, aber durchaus erträglich. Nate kam sich vor wie in einem vor fünfzig Jahren gedrehten Film.
Valdir rief in Washington an und bekam Josh an den Apparat. Sie unterhielten sich kurz, dann reichte er den Hörer über den Tisch. »Hallo, Josh«, sagte Nate.
Josh war erkennbar erleichtert, seine Stimme zu hören. Nate berichtete ihm über den Flug nach Corumba und betonte, dass es ihm gut ging, er nach wie vor nüchtern war und sich auf den Rest des Abenteuers freute.
Valdir machte sich in einer Ecke des Raumes mit einer Akte zu schaffen. Obwohl er so tat, als interessiere ihn das Gespräch nicht im geringsten, bekam er jedes Wort mit. Warum nur mochte dieser Nate O’Riley so stolz darauf sein, dass er nüchtern war?
Nach dem Telefongespräch holte Valdir eine große Verkehrskarte des Staates Mato Grosso do Sul heraus, der etwa dieselbe Größe wie Texas hat, und entfaltete sie.
Er
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