Das Testament
ruft mich in einer Stunde zurück«, sagte er.
Nate war zum Aufbruch bereit. Er nahm sein nagelneues Mobiltelefon heraus, und Valdir half ihm, einen Angestellten der Telefongesellschaft AT & T aufzutreiben, der Englisch sprach. Um das Telefon auszuprobieren, wählte Nate Sergios Nummer und landete auf dessen Anrufbeantworter. Dann rief er seine Sekretärin Alice an und wünschte ihr fröhliche Weihnachten.
Das Telefon funktionierte glänzend. Nate war sehr stolz darauf. Er dankte Valdir und verließ das Büro. Sie hatten vereinbart, vor dem Abend noch einmal miteinander zu reden.
Er ging auf den Fluss zu, der nur wenige Häuserblocks von der Kanzlei entfernt lag. In einem kleinen Park stellten Arbeiter Stühle für ein weihnachtliches Konzert auf. Der Spätnachmittag war schwül; Nates Hemd klebte ihm schweißnass auf der Brust. Der kleine Vorfall in Valdirs Kanzlei hatte ihm mehr Angst eingejagt, als er sich eingestehen mochte. Er setzte sich auf die Kante eines Picknicktischs und starrte auf das große Pantanal, das vor ihm lag. Ein verwahrlost wirkender Halbwüchsiger tauchte aus dem Nichts auf und wollte ihm Marihuana verkaufen. Er hatte es in winzigen Tütchen abgepackt, die er in einem kleinen hölzernen Kasten bei sich trug. Nate winkte ab. Vielleicht in einem anderen Leben.
Ein Musiker begann seine Gitarre zu stimmen, und langsam sammelte sich eine Menschenmenge um ihn, während die Sonne hinter den nicht besonders fernen Bergen Boliviens versank.
ZWÖLF
Das Geld tat seine Wirkung. Zögernd erklärte sich der Pilot bereit zu fliegen, wollte aber auf jeden Fall früh aufbrechen, um gegen Mittag wieder in Corumba zu sein. Immerhin sei Heiligabend, er habe kleine Kinder und eine wütende Frau.
Valdir beschwichtigte ihn, machte Versprechungen und zahlte ihm einen beträchtlichen Vorschuss in bar aus.
Auch Jevy, der Führer, mit dem Valdir schon seit einer Woche verhandelte, bekam einen Vorschuss. Er war vierundzwanzig Jahre alt, ledig, ein Gewichthebertyp mit kräftigen Armen. Als er federnden Schritts in die Hotelhalle trat, trug er einen verwegenen Hut, Shorts aus Jeansstoff, schwarze Soldatenstiefel und ein ärmelloses T-Shirt. In seinem Gürtel steckte ein blitzendes Bowie-Messer mit gut zwanzig Zentimeter langer Klinge, wohl für den Fall, dass er etwas häuten musste. Er drückte Nates Hand, dass es diesem vorkam, als splitterten seine Fingerknöchel. »Born dia«, sagte er mit breitem Lächeln.
»Born dia«, erwiderte Nate mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen.
»Sprechen Sie Portugiesisch?« fragte Jevy.
»Nein, nur Englisch.«
»Kein Problem«, sagte er und lockerte endlich seinen tödlichen Griff. »Ich spreche Englisch.« Zwar tat er das mit starkem Akzent, aber bisher hatte Nate jedes Wort verstanden. »Hab ich beim Militär gelernt«, sagte Jevy stolz.
Der Mann war Nate auf Anhieb sympathisch. Er nahm Nates Aktentasche und warf der jungen Frau hinter der Theke irgendeine flotte Bemerkung zu. Sie errötete und wollte noch mehr hören.
Sein in dunklen Tarnfarben lackierter Ford Pickup Baujahr 1978 war das größte Fahrzeug, das Nate bisher in Corumba gesehen hatte. Mit seinen breiten Reifen, der Seilwinde auf der vorderen Stoßstange und den kräftigen Schutzgittern vor den Scheinwerfergläsern erweckte es den Eindruck, urwaldtauglich zu sein. Es hatte keine Kotflügel und keine Klimaanlage.
Mit lautem Röhren ging es durch die Straßen der Stadt. Ohne auf Stoppschilder zu achten, scheuchte Jevy Autos und Motorräder aus dem Weg, deren Fahrer nichts anderes im Sinn zu haben schienen, als seinem Panzer zu entkommen. Er verlangsamte die Fahrt lediglich an roten Ampeln. Die Auspuffanlage schien den Lärm des Motors so gut wie nicht zu dämpfen, es war unklar, ob das Absicht war oder auf mangelnder Wartung beruhte. Trotz des Höllenlärms wollte Jevy unbedingt ein Gespräch mit seinem Fahrgast führen, während er das Lenkrad wie ein Rennfahrer hin und her wirbelte. Nate, der kein Wort hörte, lächelte und nickte töricht und bemühte sich mit fest auf den Boden gestemmten Füssen, auf seinem Platz zu bleiben. Mit der einen Hand hielt er sich am Fensterrahmen, mit der anderen umklammerte er den Griff der Aktentasche. An jeder Kreuzung drohte sein Herz stehen zubleiben.
Offensichtlich fuhr man hierzulande nach einem System, bei dem jeder die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung, sofern es eine solche gab, vollständig außer acht ließ. Trotzdem gab es kein Gemetzel und keine
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