Das Testament
war der älteste, Oli der mittlere und Tomas der jüngste. Mit Hilfe des Sprachführers aus seiner Aktentasche überwand Nate allmählich die Sprachbarriere. Hallo! Wie geht es dir? Wie heißt du? Wie alt bist du? Guten Tag. Die Jungen wiederholten die portugiesischen Sätze, so dass Nate die richtige Außprache lernen konnte, dann mussten sie es auf englisch sagen.
Jevy kehrte mit Karten zurück, und sie riefen wieder auf dem Stützpunkt an. Das Heer schien einer Hilfsexpedition nicht abgeneigt zu sein. Milton wies auf eine Karte und sagte: »Fazenda Esperanqa.« Jevy wiederholte die Worte mit großer Begeisterung, die aber schon Sekunden später abflaute. Dann legte er auf. »Er kann den Kommandanten nicht finden«, sagte er auf englisch, bemüht, seine Stimme hoffnungsvoll klingen zu lassen. »Sie wissen ja, es ist Weihnachten.«
Weihnachten im Pantanal. Fünfunddreißig Grad im Schatten und über fünfundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Sengende Hitze und kein Sonnenschutzmittel.
Heimtückische Insekten aller Art und keinerlei Mittel dagegen. Fröhliche Kinder, die nicht damit rechnen durften, irgendein Spielzeug zu bekommen. Keine Musik, weil es keinen Strom gab. Kein Weihnachtsbaum. Kein Festessen, kein Wein, kein Champagner.
Das hier ist ein Abenteuer, wiederholte sich Nate immer wieder. Wo bleibt dein Sinn für Humor?
Er packte das Telefon wieder in seinen Kasten und verschloss ihn. Milton und Jevy gingen noch einmal zum Flugzeug hinüber. Die Frau kehrte ins Haus zurück.
Marco hatte etwas hinter dem Haus zu tun. Nate suchte erneut den Schatten auf und überlegte, wie hübsch es wäre, bei einem Glas Schampus nur eine einzige Strophe von »White Christmas« zu hören.
Luis tauchte mit drei Pferden auf, die struppiger waren als alles, was Nate je gesehen hatte. Eins trug einen Sattel, ein Marterwerkzeug aus Leder und Holz.
Das leuchtend orangefarbene Kissen darunter schien aus einem alten zotteligen Teppich herausgeschnitten zu sein. Wie sich zeigte, war der Sattel für Nate bestimmt. Ohne die geringste Mühe sprangen Luis und Oli auf ihre ungesattelten Pferde, waren im Nu oben und saßen völlig sicher.
Nate betrachtete sein Pferd. »Onde?« fragte er. Wohin?
Luis zeigte auf einen Pfad. Aus den beim Mittagessen und danach geführten Gesprächen wusste Nate, dass der Pfad zum Fluss führte, an dem Marcos Boot lag.
Warum nicht? Es war ein Abenteuer. Was sonst hätte er tun können, während sich die Stunden dahinschleppten? Er holte sein Hemd von der Wäscheleine und schaffte es dann, sein armes Pferd zu besteigen, ohne herunterzufallen oder sich zu verletzen.
Ende Oktober waren er und einige andere Insassen von Walnut Hill an einem schönen Sonntag durch das Blue-Ridge-Gebirge geritten und hatten die Farbenpracht des Herbstes in sich aufgenommen. Zwar hatte er damals seine Oberschenkel und sein Hinterteil noch eine ganze Woche lang schmerzhaft gespürt, aber seine Angst vor den Tieren überwunden. Jedenfalls mehr oder weniger.
Er kämpfte mit den Steigbügeln, bis seine Füße fest darin steckten, dann fasste er das Tier am Zaum, damit es stillhielt. Die Jungen sahen äußerst belustigt zu und trabten dann davon. Auch Nates Pferd setzte sich schließlich in langsamen Trab, wobei ihn jeder Schritt zwischen den Beinen schmerzte und ihn von einer Seite zur anderen warf. Da er es vorzog, dass es im Schritt ging, riss er am Zaum, und das Tier verlangsamte das Tempo. Die Jungen kamen im großen Bogen zurückgeritten und ließen ihre Pferde neben ihm ebenfalls in Schritt fallen.
Der Pfad führte über eine kleine Kuhweide und machte eine Biegung, so dass das Haus bald nicht mehr zu sehen war. Vor ihnen lag Wasser - ein Sumpfgebiet, wie Nate zahllose aus der Luft gesehen hatte. Die Jungen schreckte das nicht. Der Weg führte mitten hindurch, und die Pferde, die ihn schon oft gegangen waren, zögerten nicht eine Sekunde. Zuerst stand das Wasser lediglich eine Handbreit tief, dann waren es ungefähr dreißig Zentimeter, und schließlich reichte es bis zu den Steigbügeln. Natürlich waren die Jungen barfuss, hatten eine wettergegerbte Haut und machten sich nicht das geringste aus dem Wasser oder aus dem, was sich darin befinden mochte. Nate trug seine Lieblings-Sportschuhe, die schon bald durchnässt waren.
Das ganze Pantanal war voll von Piranhas, den tückischen kleinen Fischen mit rasiermesserscharfen Zähnen.
Er wäre am liebsten umgekehrt, wusste aber nicht, wie er den Jungen das mitteilen sollte.
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