Das Testament
Vortag.
Als erstes hielt der Jeep nach seiner Fahrt durch die staubigen Straßen vor dem Hotel. Nate wünschte allen fröhliche Weihnachten, ging auf sein Zimmer, zog sich aus und stellte sich zwanzig Minuten lang unter die Dusche.
Im Kühlschrank waren vier Dosen Bier. Er leerte sie alle in einer Stunde und versicherte sich bei jeder Dose erneut, dass das kein Rückfall war. Er hatte alles im Griff, es würde für ihn keinen erneuten Absturz geben. Er war dem Tod von der Schippe gesprungen - warum sollte er nicht ein bißchen Weihnachten feiern? Niemand würde es je erfahren. Er konnte damit umgehen.
Außerdem hatte er nüchtern im Leben noch nie etwas erreicht. Er würde sich selbst beweisen, dass ihm ein bißchen Alkohol nichts ausmachte. Kein Problem.
Ein paar Bierchen hier und da. Was konnte das schon schaden?
VIERZEHN
Das Telefon weckte ihn, aber es dauerte eine Weile, bis er den Hörer gefunden hatte. Außer einem schlechten Gewissen hatte das Bier offenbar keinerlei Nachwirkungen hinterlassen, wohl aber forderte das kleine Abenteuer mit der Cessna seinen Tribut. Die Stellen an Hals und Schultern, an denen ihn die Gurte beim Aufprall der Maschine auf dem Boden gehalten hatten, waren blau unterlaufen, und um die Taille zog sich ein wie mit dem Lineal gezogener Bluterguss, außerdem hatte er mindestens zwei Beulen am Kopf. Die erste stammte von dem Stoß ans Kabinendach, an den er sich erinnern konnte, die zweite musste auf einen Stoß zurückgehen, von dem er nichts wusste. Er war mit den Knien gegen die Rückenlehnen der Pilotensitze gekracht und hatte die daraus resultierenden Prellungen zunächst für unbedeutend gehalten; im Laufe der Nacht waren sie aber schlimmer geworden. Auf Armen und Nacken hatte er einen Sonnenbrand.
»Fröhliche Weihnachten«, begrüßte ihn eine Stimme. Es war Valdir, und ein Blick auf die Uhr zeigte Nate, dass es fast neun war.
»Danke, gleichfalls«, sagte er.
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut, danke.«
»Nun ja, Jevy hat mich gestern Abend angerufen und mir die Sache mit dem Flugzeug berichtet. Milton muss ja verrückt sein, dass er in ein Gewitter fliegt. Ich werde ihn nie wieder beschäftigen.«
»Ich auch nicht.«
»Und geht es Ihnen gut?«
»Ja.«
»Brauchen Sie einen Arzt?«
»Nein.«
»Jevy meint, dass Ihnen nichts weiter fehlt.«
»Mir geht es gut - ich habe nur ein paar Blutergüsse.«
Nach einer kurzen Pause fuhr Valdir fort: »Heute Nachmittag feiern wir bei mir zu Hause Weihnachten - nur meine Familie und ein paar Freunde. Würden Sie gern kommen?«
Die Einladung klang förmlich. Nate wusste nicht recht, ob Valdir sie nur aus Höflichkeit aussprach oder ob seine Steifheit mit seiner Sprechweise zusammenhing; immerhin war Englisch für ihn eine Fremdsprache.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte er. »Aber ich muss viel lesen.« ,
»Sind Sie sicher?«
»Ja, vielen Dank.«
»Nun gut. Ich habe übrigens eine gute Nachricht für Sie. Es ist mir gestern gelungen, ein Boot für Sie zu mieten.« Er brauchte nicht lange, um von der Weihnachtsfeier auf das Boot zu kommen.
»Gut. Wann kann ich aufbrechen?«
»Vielleicht morgen. Es muss noch dies und jenes vorbereitet werden. Jevy kennt das Boot.«
»Ich kann es gar nicht abwarten, auf den Fluss zu kommen, vor allem nach dem gestrigen Tag.«
Dann berichtete ihm Valdir langatmig, wie hart er mit dem Besitzer des Bootes hatte verhandeln müssen. Von diesem Mann sei allgemein bekannt, dass er den Hals nicht voll bekommen könne. Anfangs habe er tausend Reais pro Woche verlangt, doch hätten sie sich schließlich auf sechshundert geeinigt. Nate hörte zu, aber es interessierte ihn nicht. Der Phelan-Nachlaß konnte sich das leisten.
Valdir verabschiedete sich mit einem weiteren »Fröhliche Weihnachten«.
Nates Sportschuhe waren immer noch nass, aber er zog sie trotzdem an, dazu eine Laufhose und ein T-Shirt. Er wollte versuchen, ein wenig zu joggen, und falls sein Körper nicht mitspielte, würde er einfach etwas gehen. Er brauchte frische Luft und Bewegung. Während er sich im Zimmer zu schaffen machte, sah er die leeren Bierdosen im Papierkorb.
Darum würde er sich später kümmern. Das war kein Rückfall, und es würde nicht zu einem Absturz führen. Sein Leben war am Vortag wie ein Film vor ihm abgelaufen, und damit hatte sich alles geändert. Er könnte tot sein. Jetzt war jeder neue Tag ein Geschenk, musste er jeden Augenblick genießen. Warum nicht einige der Freuden des Lebens mitnehmen?
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