Das Teufelsweib
schmales Gesicht …« Er blickte auf, als erwache er aus einem Traum. »Ich danke Ihnen, mein Herr. Dreihundert Franc, sagten Sie?« Er griff in die Tasche und legte das Geld auf den Tisch. »Und entschuldigen Sie bitte mein Benehmen.« Er nahm den Schleier an sich und wandte sich zum Gehen. »Wenn Sie das erlebt hätten, was ich erlebte, würden Sie mich verstehen können …«
»Oh, ich verstehe, ich verstehe vollkommen …« Der Geschäftsmann begleitete sie zur Tür und schloß sie hinter ihnen zweimal ab. »Ich verstehe alles«, sagte er dann laut, denn die Herren hörten ihn ja nicht mehr. »Selbst wenn zwei Verrückte für einen dummen Schleier, der fünfzig Franc wert ist, zusammen vierhundert hinblättern …«
Draußen beim Taxi dehnte Putois seine Brust und faßte seinen Freund unter. Seine Augen leuchteten.
»Ich danke dir, Perpignac. War ein wundervoller Gedanke von dir, durch die Stadt zu fahren. Jetzt fühle ich mich besser, unvergleichlich besser. Ich habe ihren Schleier, ich glaube ungefähr zu wissen, wie sie aussieht, ich werde sie malen, Perpignac, den Körper nach meinem Gedächtnis, den Kopf nach meiner Phantasie. All mein Können werde ich in dieses Bild hineinlegen. Es soll mein Meisterwerk werden.«
Er ließ sich in den Wagen fallen und tippte dem Chauffeur auf die Schulter.
»Rasch zurück, Monsieur! Rue Randolph am Montmartre-Friedhof. Rasch, sage ich, so rasch Sie können. Ich werde Sie entsprechend entlohnen.«
»In Ordnung«, nickte der Fahrer und gab sich Mühe, aber der Pariser Verkehr setzte ihm natürlich trotzdem die gewohnten Grenzen.
Als das Taxi den Montmartre hinauffuhr, Putois sich also dem Ziele nahe sah, begann er lustig zu pfeifen. An der Haustür gab er dem erstaunten Perpignac die Hand und klopfte ihm auf die Schulter.
»Mein Lieber«, sagte er aufgeräumt. »Du bist für heute entlassen, ich verabschiede mich hier schon von dir. Ich muß jetzt allein sein, das wirst du verstehen. Ich muß sie malen, sofort, die ganze Nacht hindurch. Und morgen früh werde ich fertig sein mit dem Bild. Nimm's nicht übel, alter Freund … Komm morgen mittag zu mir, du wirst staunen.«
Er sprang die Treppe hinauf, zog in seinem Atelier die Vorhänge vor die Glasfenster, knipste alle Lampen an, warf sein Jackett in weitem Bogen irgendwohin, knöpfte sich den Hemdkragen auf – alles mit fliegenden Händen. Dann setzte er sich vor die Staffelei, und es konnte losgehen. Knirschend fuhr die Kohle über die weiße Leinwand, und mehrmals zerbrach sie in der Hand des erregten Malers, dessen Druck, den er ansetzte, also anfänglich offensichtlich noch zu stark war.
Ein bildschönes, schmales Gesicht …
Lange, schwarze Haare …
Ein voller Mund …
Dunkle Augen …
Eine feine, schmale Nase …
Ein Madonnengesicht …
Die Kohle fuhr über die Leinwand. Sich keine Pause gönnend, arbeitete Putois Stunde um Stunde. Aus einem Gewirr von Strichen und Kreisen, von Linien und Schwüngen trat mehr und mehr ein Gesicht hervor.
Immer wieder trat Putois von der Staffelei zurück, fixierte das Bild, schüttelte den Kopf, korrigierte, verbesserte. Manchen Strich zog er zehnmal, hundertmal, immer wieder anders – am Ende war es vielleicht genau der gleiche Strich wie beim erstenmal.
Die ganze Nacht ging das so, und langsam sank dabei auch der Pegel in der Kognakflasche und quoll der Aschenbecher über. Wirr hingen dem Maler die Haare ins Gesicht, die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Wenn Perpignac ihn so gesehen hätte, er hätte ihm bescheinigt, daß er einem Asketen ähnlich sei, der an der Pforte des Wahnsinns stünde.
Das Gesicht, hämmerte es in Putois' Schläfen. Ich muß dieses Gesicht finden!
Wenn es mir nicht gelingt, weiß ich, daß ich am Ende meines künstlerischen Schaffens stehe. Das wäre mein Zusammenbruch … das Elend … der Tod …
Wie besessen arbeitete er, bis der Morgen kam.
Als die Sonne aufging, lag Putois erschöpft auf der Couch, ausgebrannt, leer – aber zufrieden mit dem fertigen Bild.
Ein Madonnenkopf. Herrlich anzusehen, faszinierend in seiner Lebendigkeit.
Putois' Herz klopfte bis zum Hals. Diese Ähnlichkeit, dachte er. Es ist nicht zu glauben, es ist nicht zu fassen …
So sah Frau Manon Dubois aus, die schönste Frau von Paris, die man oft genug in der Zeitung sehen konnte. Und Putois wußte plötzlich, daß er am Ende war, denn was das hieß, war unabsehbar.
11
Dubois hatte ein flaues Gefühl im Magen, als er am nächsten Tag vor dem hohen Haus
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