Das Teufelsweib
Bengalen. Es ist ein Wunderwasser, von dem keiner weiß, woher es kommt. Ich habe dieses Fläschchen für 1.000 Pfund Sterling erstanden. Ein Vermögen für einen Viertelliter Wasser. Aber es braucht nur ein Tropfen auf diese Reispflanze zu fallen –«, er träufelte ein wenig aus der Flasche auf den Setzling, – »und schon … sehen Sie!«
Mit geweiteten Augen sah Manon, wie die Pflanze sich regte, wie sie in der Lackschale wuchs, wie sie sich emporstreckte, wie eine Zauberhand sie emporzuziehen schien. Manon sah, wie die Blätter aus dem Stengel quollen, sah, wie die Pflanze reifte, in wenigen Sekunden reifte, wie in der Hand McJohns buchstäblich Reis wuchs.
Ängstlich rückte Manon etwas vom Tisch weg, als empfinde sie Furcht vor diesem unerklärlichen Wunder. Mit fragenden Blicken sah sie McJohn an, dem es aber jetzt genug des Zaubers zu sein schien.
»Schluß der Vorstellung, Manon«, sagte er plötzlich leichthin. »Hiermit sahen Sie das Reifen einer Frucht in wenigen Sekunden, weil die Tropfen eines wundersamen Taus ihre Wurzeln benetzten. Auch der Mensch ist so, Manon. Er irrt jahrelang durch Wüsten und Steppen, Tundren und Urwälder, forscht und sucht, sammelt und trägt zusammen, was sein Weltbild erweitert. Und er kennt nur sich selbst, er rastet nicht, er jagt den Geheimnissen der Erde nach und vergißt darüber das größte Geheimnis: das seiner eigenen Seele. Und plötzlich, vollkommen unerwartet, unangekündigt, tritt eine Göttin mit einem Blick, einem Lächeln, mit einem Wink, mit der Verheißung ihres Körpers in sein Leben, netzt sein ausgedörrtes Innere – und was er nie für möglich hielt, was er nie erahnte, was er nie begriff – das wird Realität, wird in Sekunden Wahrheit, wird Drängen, Schmerz, Verlangen: Er liebt Manon –« McJohn beugte sich weit vor, bis sein Mund unmittelbar vor dem ihren war, »– dich, Manon, liebt er.«
Sie schloß die Augen und ließ sich nach hinten auf den Diwan sinken. Mit einem Zittern fühlte sie, wie McJohn sie umfing und seine Hände anfingen, nach ihren Reißverschlüssen zu suchen.
Er ist genau wie die anderen, dachte sie dabei. Er redet von Indien und Wunderpflanzen und meint doch nur das eine. Wie merkwürdig die Männer sind, der eine malt wie ein Irrer und liebt wie ein Trunkener, der andere läßt Reis in der Hand wachsen und küßt mich wie ein Tier … Sie schrie auf, weil sie plötzlich spürte, daß ihre Lippe blutete. McJohn hatte das Licht gelöscht. Sie atmete den betäubenden Duft der Räucherkerze ein, hatte das Gefühl, zu fallen, ganz, ganz tief zu fallen und klammerte sich an einen Arm, der sie umfing. Erregt spürte sie, daß dieser Arm bloß war, nackt, behaart und sehnig. Ein Tier, schrie es in ihr, ich liebe ein Tier … dann krallte sie sich an ihm fest, bis sie nicht mehr wußte, was mit ihr geschah …
10
Seit Manons Bild vollendet war und Tengier Putois 15.000 Franc anstandslos dafür gezahlt hatte, lag das Atelier in der Rue Randolph meist verlassen unter dem Glasdach. War aber Marcel Putois anwesend, saß er entweder untätig vor seiner Staffelei, oder er kaute an den Stielen seiner Pinsel und entwarf neue Bilder, Landschaften, wobei er spürte, wie sein Pinsel sich immer wieder selbständig machen wollte, um den unbekannten Kopf mit dem lockenden roten Schleier zu malen. Dann sank Putois regelmäßig auf die Couch, unfähig, weiterzuarbeiten.
Wenn der Tag schwand und die Schatten der Abendwolken über die Dächer von Paris glitten, wenn es fahl unter dem schrägen Glasdach wurde und die Straßen zwischen den Häuserzeilen von oben wie tiefe schwarze Schächte wirkten, ergriff ihn eine irrsinnige Erregung. Er zog ein frisches Hemd an, darüber seine Cordsamtjacke, und brachte überhaupt sein ganzes Äußeres in einen passablen Zustand.
Dann wartete er, saß am Fenster, rannte in dem Atelier auf und ab, horchte an der Tür, trat hinaus auf den dunklen muffigen Flur und lauschte hinunter, ob nicht ein leichter Schritt die Treppe emporkam, saß dann wieder am Fenster, rauchte eine Pfeife nach der anderen und verging vor Ungeduld und Hilflosigkeit.
Abend für Abend saß er so.
Wartete. Rannte. Lauschte. Klagte und verzweifelte.
Zwei Wochen lang.
Doch die Unbekannte kam nicht wieder.
Der Engel der Nacht mit dem roten Schleier um den geheimnisvollen Kopf blieb verschwunden.
Wie er erschienen war, so war er wieder gegangen, unerkannt, umwittert von Rätseln und Geheimnissen.
Mit dem Tage, an dem Putois das Bild
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