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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Kahn
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ernsthaft und fest in die Augen. »Haben Sie sich nicht schon gefragt, warum die schlimmsten Verbrechen
     und Untaten oft von Menschen mit gutem bürgerlichen Hintergrund begangen werden? Angesehene Persönlichkeiten der Gesellschaft
     und Geistliche aller Glaubensrichtungen eingeschlossen. Und kennen Sie nicht das Gefühl der völligen Ratlosigkeit, wenn Sie
     überlegen, wie das alles passieren konnte? Wie viele Berichte über menschliche Greuel enden mit der Bemerkung, es sei einfach
     nicht zu verstehen.« Er warf einen Blick in die Runde. »Lässt sich dieser alltägliche Wahnsinn mit Vernunft erfassen oder
     vereinbaren?«
    »Wir haben unsere Ansichten zu diesem Punkt bereits dargelegt«, sagte der Theologe, »es ist das Problem der Theodizee, der
     Frage, wie Gott das Böse in der Welt zulassen kann.«
    Der Philosoph nickte zustimmend.
    »Sicher. Wir kennen auch die Überlegungen seit Augustinus, ob der menschliche Wille frei ist oder nicht«, sagte Decker. »Ist
     er frei, ist Gott nicht allmächtig. Und |20| ist er nicht frei, ist das Böse Teil des göttlichen Schaffens. Ich denke aber, Sie verrennen sich am Ende in Widersprüche
     oder bleiben die Antwort doch schuldig.«
    »Haben Sie denn Antworten, Dr.   Decker«, fragte der Moderator in dem für Journalisten typisch provokanten Ton.
    »Sicher nicht für alles und jeden. Niemand hat das. Zumal jeder das Recht auf seine eigene Weltanschauung hat. Aber ich denke,
     man kann das Kopfschütteln und die Fassungslosigkeit angesichts der Katastrophen und Tragödien der Erde überwinden. Mehr nicht.«
    »Sie meinen, man kann verstehen, was in den Köpfen der Leute vor sich geht?«
    »Ja. Und damit den Irrsinn in der Geschichte.«
    »Können Sie mir und den Zuschauern das in wenigen Worten erklären?«
    Dr.   Decker sammelte sich und holte Luft. »Ich will es versuchen. Aber es gibt zunächst ein Problem dabei. Unsere Erziehung. Um
     die Dinge von einer anderen Seite sehen zu können, muss man sein Selbstbild in Frage stellen. Aber unser Verstand wehrt sich
     gegen gewisse Einsichten.«
    »Können Sie konkreter werden?«, fragte der Moderator.
    »Ja, vergessen Sie einfach für einen Moment unsere rationale und harmlose Seite. Die Antworten liegen in den großen, geheimen
     Gefühlen. Der Weg zu den Antworten ist eine Abenteuerreise durch den unbekannten Dschungel der eigenen Seele. Überall lauern
     Gefahren und Ängste.«
    »Niemand hat Probleme damit zu akzeptieren, dass Liebe und Leidenschaft oder Wut und Hass die Schlagzeilen füllen«, sagte
     der Moderator.
    |21| »Dann akzeptieren Sie immerhin auch, dass der Verstand oder die Selbstbeherrschung sehr oft die Kontrolle über die Gefühle
     verlieren. Das ist der erste Schritt zum Verstehen«, sagte Decker.
    »Und der zweite?«, wollte der Philosoph wissen.
    »Das ist die Hauptschwierigkeit. Wenn Sie noch weiter gehen wollen, müssen Sie bereit sein, in dunkle Tiefen hinabzusteigen.«
    »Die dunkle Seite der menschlichen Seele?«, fragte der Theologe. »Aber die leugnet doch keiner.«
    »Das vielleicht nicht. Aber würden Sie mir zustimmen, dass viele Gefühle uns nicht bewusst sind? Würden Sie mir folgen, wenn
     ich sage, dass viele unserer Gefühle und Motive sich im Unbewussten verbergen und von dort aus ihr Unwesen treiben?«
    »Jetzt beginnt Ihr beliebter Ansatz«, sagte der Moderator.
    »Richtig. Und die Erfahrung zeigt, dass der Verstand nur sehr ungern in diese unbewussten Tiefen hinabsteigt.«
    »Warum sollte er damit Schwierigkeiten haben, sich in dies dunkle Verlies zu begeben?«, fragte der Philosoph dazwischen.
    »Dort unten hat der Verstand keine Kontrolle und nichts zu sagen. Dort im Unbewussten lagern all die Dinge, die nicht sein
     dürfen. Dort wohnen Dinge, die nicht gedacht und umgesetzt werden dürfen, weil sie uns zu Barbaren und Straftätern machen
     würden. Da liegen die Verbote und zugleich die größten Sehnsüchte verborgen.«
    »Sie meinen, in diesen Tiefen der Seele würden wir dem archaischen Grauen unserer Spezies begegnen?«, fragte der Paläoanthropologe.
    |22| »So kann man es sagen. Wenn Sie ein Bild dafür haben möchten, denken sie an das Altargemälde von Bosch in Colmar mit all den
     gruseligen Monstern, die an dem Menschen zerren. Aber es ist mehr als das«, sagte Decker.
    »Ich sehe, worauf sie hinauswollen«, sagte der Zoologe. »Wenn wir uns dorthin begeben, dann müssen wir bereit sein, dem Tier,
     der Bestie in uns ins Auge zu blicken.«
    »So ist es.«
    »Aber

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