Das Tier
als medizinische Instrumente zu säubern und sie dem Doktor zu reichen, wenn er sie brauchte?
„Du hast mehr gearbeitet als es ein Lehrling in seinen ersten Tagen täte. Und dazu ohne Murren und Knurren. Ich habe jede Anweisung nur ein einziges Mal geben müssen. Alles weitere kam von dir aus. Ich lobe niemanden ohne Grund, Cyrian.“
Die Worte taten gut.
„Also bin ich hier in Ihrem Haus kein Junge aus der Rotenbachstraße und Sie kein Freier, der dorthin will? Soll das der Deal sein?“
Der Doktor stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Ja, das wäre ein guter Anfang.“
„Und danach? Ich meine, wenn Thars gesund ist und wir Ihr Haus verlassen?“
„Willst du denn in die Rotenbachstraße zurück?“
Das war eine berechtigte Frage. Und eine interessante noch dazu. Cyrian überlegte. Dort verkehrten auch die Wachen, die ihn in den Kerker geworfen hatten, fiel ihm nebenbei ein.
„Ich bin nicht sicher“, sagte er leise. „Ich glaube, ich würde gerne bei Thars bleiben. Wenn er mich denn will.“ Vielleicht sollte er endlich mal seine Münzen aus ihrem Versteck holen, damit er bereit war, mit dem Tier zu gehen, sobald das möglich war.
„Ach, Cyrian.“ Der Doktor seufzte schon wieder. „Geh schlafen, Junge.“
Folgsam griff er nach seinem Nachthemd und schlüpfte auf den Flur hinaus. Gähnend kratzte er sich am Hintern, während er über den Gang lief und seine eigene kleine Kammer aufsuchte.
Melva hatte sich gerade einen Becher warme Milch holen wollen, als sich die Tür zum Zimmer ihres Gatten öffnete. Zu ihrer Verwunderung verließ allerdings Cyrian den Raum. Noch dazu splitterfasernackt! Hastig zog sie sich hinter ihre eigene Tür zurück und lehnte sich gegen das dunkle Holz. Der Junge war ein Liebesdiener! Deutlich hatte sie das kleine herzförmige Brandmal auf Cyrians Oberschenkel im Schein der Flurlampen gesehen.
„Und er war bei Lerome“, murmelte sie. Ein winziges Lächeln tauchte in ihren Mundwinkeln auf.
„Ich gönne dir diese Freuden von Herzen“, flüsterte sie in ihr stilles Zimmer hinein. „Und ich bin froh, dass du dafür einen so guten jungen Mann gefunden hast.“
Thars saß im üppig blühenden Garten und genoss sein Leben. Marwin hatte ihn mit dem Rollstuhl nach draußen gefahren, da die Sonne schien und die wunderbare Frühlingsluft lockte. Eigentlich war Thars bereits vollständig genesen, doch er hatte mit Doktor Lerome abgesprochen, dass er noch mindestens zwei Wochen lang den Invaliden spielen würde, damit niemand Grund zu Misstrauen hatte. Marwin hatte strikte Anweisung, den Verband nicht anzurühren, woran sich der stille, in sich gekehrte Mann ohne Rückfrage hielt. Thars wusste, warum Marwin sich stets gehorsam und bescheiden verhielt … Auch wenn er es lieber nicht gewittert hätte.
Es tat ihm gut, den größten Teil des Tages damit zuzubringen, in einem Sessel oder dem Rollstuhl zu sitzen und ganz langsam ins Leben zurückzukehren. Er hatte über ein Jahr daran verloren, sich in ein Tier zu transformieren und im Kerker zu hocken. Seit acht Tagen befand er sich in Doktor Leromes Obhut und hatte hier Gelegenheit, sich wieder als Mensch zu fühlen. In seinem alten Dasein war er ein Taugenichts gewesen. Der typische adlige Gentleman ohne Verpflichtungen. Er hatte Naturwissenschaften studiert, ohne die extremen Erwartungen seines Vaters erfüllen zu können. Thars hatte zahllose Privatlehrer verschlissen, die ihn in Philosophie und Mathematik perfektionieren sollten, ohne je ihren Anforderungen genügen zu können. Nichts hatte ihn wirklich interessiert, die Wissenschaften am allerwenigsten. Er hatte dennoch seinem Vater zuliebe in der Gemeinschaft der Valorsaner Freundschaften geschlossen und auch versucht, an deren Studien und Experimenten teilzunehmen, ohne irgendeinen Erfolg vorzuweisen. Nach einem heftigen Streit mit seinem Vater war er schließlich dazu übergegangen, sich in Clubs herumzutreiben, Feste zu besuchen, nächtelang zu trinken und mit jedem willigen Geschöpf durch die Betten zu rollen, das er nicht allzu abstoßend fand. Thars war reich und gutaussehend genug, um freie Auswahl zu genießen und einer der begehrtesten Junggesellen der Stadt zu sein. Mehr als ein Mann war bereit gewesen, in seine Arme zu sinken, trotz der Gefahr, der Verbote, dem Risiko, seinen Ruf zu ruinieren und vielleicht sogar angeklagt zu werden. Eigentlich mochte Thars keine Frauen anfassen. Das weibliche Geschlecht verehrte er auf geistiger Ebene, körperlich waren
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