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Das Tier

Das Tier

Titel: Das Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt , Sandra Busch
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Strähnen durchzogenes Haar aufgesteckt hatte, und ihrem hochgeschlossenen Kleid sehr steif aussah, war sie äußerst freundlich zu ihm. Nur aus diesem Grund bemühte sich Cyrian erneut, mit diesem entsetzlichen Besteck zu hantieren. Wieso konnte man sein Rührei nicht einfach mit einer Scheibe Brot vom Teller schaufeln, sondern musste dazu eine silberne Zwergenforke verwenden? Verstohlen warf er einen Blick über den Tisch, um sich von Melva den richtigen Gebrauch der Gabel abzugucken.
    „Möchtest du noch ein Brötchen, Cyrian? Ich hatte den Eindruck, dass dir das Pflaumenmus sehr gut geschmeckt hat.“
    Durfte er tatsächlich noch eines von diesem herrlichen weißen Gebäck nehmen? Unsicher suchte er Rat bei Doktor Lerome, der jedoch hinter seiner Zeitung verschwunden war.
    „Sei nicht so schüchtern, mein junger Freund. Wenn du noch hungrig bist, nimm dir ruhig.“
    Melva reichte ihm den Korb und mit einem zaghaften Lächeln griff er sich ein weiteres Brötchen heraus. Eine Brille tauchte über den Rand der Zeitung hinweg auf. Doktor Lerome nickte ihm aufmunternd zu. „Iss, Junge. Das Mittagessen wird auf den Abend verschoben. Die Patienten haben meist kein Einsehen, dass ein Arzt auch mal etwas essen muss.“
    „Das ist wirklich sehr köstlich“, murmelte Cyrian.
    „Pass nur auf, dass dich Lerome nachher nicht überfordert“, flüsterte ihm Melva mit einem Zwinkern zu. „Er gerät stets völlig außer Rand und Band, wenn er arbeitet.“
    „Das macht mich zu einem guten Arzt, meine Liebe“, tönte es belustigt hinter der Zeitung hervor. „Nun schau sich das einer mal an. Die haben das Tier immer noch nicht wieder eingefangen.“
    Beinahe hätte sich Cyrian an seinem Brötchen verschluckt.
    „Da steht etwas über das Tier?“, fragte er atemlos. Brudfor sei verdammt! Wieso hatte ihm nie jemand lesen beigebracht?
    „Du solltest den Jungen nicht mit solchen Nachrichten erschrecken“, tadelte Melva sanft.
    „Das Tier macht mir keine Angst“, erklärte Cyrian und fragte gleich darauf: „Was steht denn noch in der Zeitung, Doktor?“
    „Dass es verletzt wäre und man vorsichtig sein soll, wenn man zu später Stunde auf den Straßen unterwegs ist. Fremden soll man keine Türen öffnen und so weiter und so fort.“ Der Doktor legte die Zeitung zusammen. „Wenn ihr mich fragt, ist das Tier längst aus Hockenbruck verschwunden. Das wäre nur vernünftig. Wollen wir los, Cyrian?“
    Hastig schlang er den letzten Bissen herunter und nickte eifrig.
    „Sie brauchen sich keine Sorgen wegen dem Tier zu machen. Es wird Ihnen nichts geschehen“, sagte er zu Melva. Er wollte nicht, dass sich die nette Frau vielleicht fürchtete, wenn der Doktor mit ihm aus dem Haus war.
    „Na, dann bin ich ja beruhigt.“ Melva lachte belustigt auf. Es war ein herzliches Lachen, bei dem sich Cyrian fragte, weshalb seine Mutter – Brudfor habe sie selig – nicht so hatte sein können.

    Den ganzen Tag lang hatte er dem Doktor assistiert, ihm die Instrumente zugereicht, nach seinen Anweisungen Verbände gewickelt und Pillen abgezählt. Er hatte gelernt, wie wichtig Sauberkeit war und sich schon bald genauso routiniert die Hände mit Kernseife geschrubbt wie Doktor Lerome auch. Cyrian durfte miterleben, wie ein Backenzahn gezogen wurde, wie man ein Furunkel aufschnitt und einen frisch amputierten Fingerstumpf behandelte. Er bemühte sich voller Eifer, die Wünsche des Doktors vorauszusehen und ihm rechtzeitig das benötigte Werkzeug anzureichen. Als er dafür ein Lob einheimste, glühte er vor Stolz.
    Am Abend kämpfte er nach einem kurzen Besuch beim schlummernden Thars erneut mit Messer, Gabel und einen sehr unpraktisch zu essenden Salat. Umso erleichterter war er anschließend, als es Hähnchen gab, das er mit den Fingern essen durfte. Nach dem gemeinsamen Mahl setzte er sich erneut an Thars’ Bett und hielt behutsam die Hand seines neuen Freundes, während er sich überlegte, wie er dem Doktor seine Wohltaten vergelten konnte.

    Lerome wachte auf, als sich seine Bettdecke hob und jemand darunter kroch. Für einen schlaftrunkenen Moment war er verwirrt und rieb sich die Augen. Dann wollte er zu seiner Brille greifen, doch eine Hand, die sich um sein Geschlecht legte, ließ ihn erstarren. Gleich darauf stülpte sich etwas Warmes, Feuchtes um sein bestes Stück und er fand sich einem überraschenden Zungenspiel ausgesetzt.
    „Melva?“, fragte er in die Dunkelheit seines Zimmers, obwohl das mehr als unwahrscheinlich war.

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