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Das Tier

Das Tier

Titel: Das Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt , Sandra Busch
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sie allesamt unattraktiv. Damit niemand Verdacht schöpfte, nahm er es als notwendiges Opfer auf sich, immer mal wieder eine Frau zu verführen.
    Mit dem plötzlichen Tod seines Vaters war das Herumtreiberdasein schlagartig beendet worden. Plötzlich musste Thars den Familienbesitz verwalten und die Finanzen der Gemeinschaft regeln. Stian war zum Oberhaupt der Gemeinschaft gewählt worden, ein erfahrener Wissenschaftler und einer der ältesten Freunde von Thars’ Vater. Stian war für ihn ein Freund, ja, fast ein Blutsverwandter gewesen. Niemals hätte er ihm misstraut oder geglaubt, ausgerechnet er würde ihn verraten …
    Thars blickte bewusst nicht auf, als er wahrnahm, dass Cyrian sich näherte. Der junge Mann war ein Phänomen, das ihn faszinierte. Cyrian hatte so viel Elend durchlitten, war gezwungen gewesen, Dinge zu tun, die ihn anekelten oder sein Gewissen belasteten. Doch während jeder andere unter solchen Umständen abstumpfte und verrohte, war Cyrian unschuldig wie ein Kind geblieben. Nicht auf diese naive Weise wie manch geistig armes Geschöpf. Cyrian war sich bewusst, was er tat und welche Konsequenzen es hatte. Er verachtete sich selbst für das, was er war. Und trotzdem glaubte er an das Gute und sah die Schönheit der Welt, war bereit zu geben, was er hatte und zu helfen, wenn er konnte. So wie auch Doktor Lerome und dessen Frau Melva, die ebenfalls Fürchterliches durchgemacht hatte …
    Thars hatte mittels seiner Gabe miterlebt, was Cyrian angetan worden war. Kaum zwölf Jahre war er gewesen, als Cyrians Mutter einen Mann in das Zimmer geführt hatte, in dem sie mit dem Jungen hauste. Das Bild, wie sich eine riesige schmutzige Hand über den Mund des zarten Kindes legte, um seine Schreie zu ersticken; die Witterung von unerträglichen Schmerzen, Todesangst und Abscheu, als es gewaltsam genommen wurde, zerrissen Thars das Herz. Es war der bedeutsamste Schlüsselmoment in Cyrians Leben gewesen, der Moment, in dem er sich in den Engel gewandelt hatte, der er heute war. Dieser Duft war so intensiv, dass Thars in diese Erinnerung versinken konnte, als wäre er selbst dabei gewesen:

    Cyrian lag zusammengekauert auf der armseligen Bettstatt und weinte schluchzend. Endlich war der Mann fort, der ihm derartig weh getan hatte! Er hörte die Schritte seiner Mutter, machte sich noch kleiner in Erwartung der Schläge, die unweigerlich folgen würden. Sie schlug ihn bei jedem Anlass oder auch ohne Grund.
    Als sie sich behutsam neben ihm niederließ und unbeholfen durch seine Locken streichelte, erstarrte er überrascht.
    „Du darfst heute weinen. Ab morgen wirst du lernen, wie man es richtig macht.“
    Schweigend blickte er zu ihr auf.
    „Ich hab meinen Körper verkauft, bis er zu hässlich wurde, um mit ihm Geld zu verdienen. Heute weiß ich, was ich falsch gemacht habe. Warum ich mich jeden Tag besaufen muss, um die Kraft zum Aufstehen zu haben.
    Cyrian, du bist jung und wunderschön. Die Freier werden jeden Preis zahlen, um dich haben zu dürfen. So wie bei mir damals. Da hatte ich gedacht, ich müsste lernen, mich selbst als einen Gegenstand zu sehen. Als ein Ding, mit dem Männer spielen dürfen. Dass ich stillhalten oder auch mitspielen müsse, denn es ist eine Ehre für mich, wertvoll genug für das Geld zu sein. Es hat mich kaputt gemacht, so wie es jeden Liebesdiener kaputt macht, egal ob Mann oder Frau. Ich habe die Männer gehasst, die mich betatschten, mich selbst, weil ich nichts als ein Körper ohne Rechte oder Seele war. Mit ausreichend Alkohol oder Rauschmitteln im Blut konnte ich zumindest genießen, Macht über diese Männer zu haben. Ich habe sie dafür verachtet, dass sie sich Liebe kaufen müssen und mir vorgestellt, was für erbärmliche Kreaturen sie sind. Dass keine Frau sie ohne Bezahlung an sich ranlässt.
    Das war mein Fehler.“
    „Wie geht es richtig?“, flüsterte Cyrian.
    „Du darfst sie nicht hassen oder verachten. Oder versuchen, sie dir wegzudenken. Träum dich nicht in schöne Welten, während sie über dich rutschen. Lerne sie zu lieben, selbst wenn sie stinken, alt und widerlich sind oder dich schlagen. Lerne dankbar dafür zu sein, dass du ihnen behilflich sein darfst. Verehre sie als Brudfors Geschenk an dich. Wenn du nicht nur ein Körper bist, sondern ihnen deine Lust, Liebe und Leidenschaft schenkst, wirst du diese dreckigen Straßen verlassen. Eines Tages wirst du in den nobelsten Häusern ein- und ausgehen und ein gefeierter Liebesdiener sein statt irgendeine

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