Das Titanic-Attentat
verweigerte«, fasste beispielsweise die
New York Times
am 27. April 1912 Buleys Aussagen zusammen. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man das Verhalten des fremden Schiffes so subsumiert, dass der Dampfer den Untergang der
Titanic
beobachtete und, nachdem sie gesunken war, davonfuhr.
Und siehe da: Tatsächlich gibt es – genau wie von der
Californian
– noch von einem anderen Schiff in jener Nacht eine »Innenperspektive«, die zu Buleys Schilderung perfekt passt.
Die Beobachtungen des Dr. Quitzrau
Der andere »Hauptverdächtige« für die »Geisterschiffe« war die bereits erwähnte
SS Mount Temple
(Tempelberg), ein 9000-Bruttoregistertonnen-Schiff, das seit dem 3. April 1912 mit etwa 1500 Passagieren auf dem Weg von London nach St. John in der kanadischen Provinz New Brunswick unterwegs war, wo es am 19. April ankommen sollte.
Nach der Ankunft (und damit nach dem Untergang der
Titanic
) in Kanada unternahm ein Passagier der
Mount Temple
etwas, was man nur macht, wenn man wirklich etwas Ungeheuerliches mitbekommen hat. Der Reisende namens Dr. Friedrich Carl Quitzrau begab sich am 29. April 1912 zu einem Notar in Toronto und gab eine eidesstattliche Erklärung ab. Quitzrau war ein 24-jähriger deutscher Arzt, der in Toronto ein Aufbaustudium absolvieren wollte. Die Aufzeichnung des Notars lautete wie folgt:
Dr. F. C. Quitzrau sagt, ordnungsgemäß vereidigt, unter Eid aus, dass er ein Zweiter-Klasse-Passagier auf dem Dampfer
Mount Temple
war, der Antwerpen am 3. April 1912 verließ;
Dass er um Mitternacht am Sonntag, 14. April, durch das plötzliche Stoppen der Maschinen geweckt wurde; dass er sich umgehend zur Kabine
[vermutlich der Salon der zweiten Klasse; G. W.]
begab, wo sich bereits mehrere Stewards und Passagiere aufhielten, die ihn über einen Funkspruch der
Titanic
informierten, dass die
Titanic
einen Eisberg gerammt hatte und um Hilfe rief.
Sofort wurden Befehle gegeben, und die
Mount Temple
änderte ihren Kurs direkt in Richtung
Titanic.
So weit – so normal. Was dann kam, war allerdings nicht normal.
Um drei Uhr New Yorker Zeit, zwei Uhr Schiffszeit, wurde die
Titanic
von einigen Offizieren und Besatzungsmitgliedern gesichtet.
Dass, sowie die
Titanic
gesehen wurde, sämtliche Lichter der
Mount Temple
gelöscht, die Maschinen gestoppt wurden und das Schiff etwa zwei Stunden lang regungslos dalag;
Dass, sobald der Tag anbrach, die Maschinen angeworfen wurden und die
Mount Temple
die Position der
Titanic
umkreiste, worauf die Offiziere bestanden hatten, während der Kapitän befohlen hatte weiterzufahren.
Vor mir unterschrieben und beeidigt am heutigen 29. April 1912.
WILLIAM JAMES ELLIOTT ,
Öffentlicher Notar der Provinz Ontario.
Kurz und gut: Quitzrau beschrieb exakt das Schiff, das der
Titanic
-Matrose Buley gesehen hatte:
Sämtliche Lichter wurden gelöscht, man sah nur noch die Masttopplichter.
Die Maschine stoppte, also verloschen auch die farbigen Seitenlichter, und das Schiff blieb stehen.
Das Schiff lag regungslos mehrere Stunden lang da.
Erst bei Tagesanbruch setzte es sich in Bewegung.
Die eidesstattliche Erklärung schickte Quitzrau an den Vorsitzenden der US -Untersuchungskommission, Senator William Alden Smith, mit dem Hinweis, dass er gerne bereit wäre, vor der Kommission auszusagen, falls das für nötig befunden würde.
Es wurde aber nicht für nötig befunden, sondern das Dokument wurde nur verlesen und zu den Akten genommen.
Allerdings gibt es ein paar Fragen zu Quitzraus Darlegungen. Zunächst einmal beschrieb er keine eigenen Beobachtungen, sondern nur das, was er auf dem Schiff »mitbekam«, wahrscheinlich im Salon der zweiten Klasse. Zeitungsberichten zufolge hatte der Kapitän den Passagieren den Aufenthalt auf dem obersten Deck in jener Nacht verboten (
News-Plaindealer
vom 26. April 1912, siehe unten).
Des Weiteren begannen Quitzraus Schilderungen nicht erst mit der eidesstattlichen Versicherung, sondern bereits mit Zeitungsberichten. Im
Toronto Star
vom 23. April 1912, also sechs Tage vor seiner eidesstattlichen Versicherung, wurde Quitzrau beispielsweise zitiert, der Funker der
Mount Temple
habe die Entfernung zur
Titanic
beim Empfang des Notrufs auf 40 Meilen geschätzt.
Damit würde Quitzrau die eigenen Aussagen ad absurdum führen, denn da die
Mount Temple
gerade einmal 11 Knoten (Seemeilen pro Stunde) schaffte, hätte sie bei dieser Entfernung unmöglich vor dem Sinken der
Titanic
vor Ort sein können. Für 40
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