Das Tor des Suedens
erstes fiel ihm auf, dass der Tote verschwunden war. Im Schnee sah er Fußspuren, die dreimal so groß wie die eines großen Mannes waren. Ein wenig erinnerten ihn die Abdrücke an Bärentatzen. Die Spuren führten auf die Höhle zu und dann wieder zurück in die Alptraumlandschaft, die nun langsam deutlicher sichtbar wurde und die mit der einsamen Eiswüste von gestern keine Ähnlichkeit mehr hatte.
Blumen, die mannsgroß waren, wuchsen aus dem schneebedeckten Boden. Sie waren aus Eis, und sie bewegten sich knarrend im sanften Morgenwind. Dahinter erhob sich ein undurchdringlich scheinender Dschungel aus Eisbäumen, und dazwischen huschten wolfsähnliche, durchsichtige Geschöpfe hin und her, die klagende Laute ausstießen.
»Das ist doch nicht möglich«, flüsterte Nottr.
Entsetzt duckte er sich, als einige der Pflanzen plötzlich auf ihn zukamen und mit ihren Blüten seltsam nickten. Panikartig kehrte er in die Höhle zurück.
»Die Eisebene hat sich verändert«, sagte er, nach Atem ringend. »Da gibt es Blumen, einen Wald, und alles ist aus Eis. Ich kann es nicht richtig beschreiben, schaut selbst nach.«
Sadagar stürmte auf die Öffnung zu, blieb aber abrupt stehen, als sich ein armdicker, schlangenartiger Eiszapfen in die Höhle drängte und sich aufstellte und die Spitze wie einen Schlangenkopf hin und her wiegte.
Bevor Nottr noch sein Schwert gezogen hatte, war schon Aravo auf den Beinen, der auf das Eisgebilde mit seiner Axt losging und es mit einem Hieb zerschmetterte.
»Da scheint uns heute noch einiges bevor zu stehen«, knurrte er und schleuderte die Eisstücke mit einem Fußtritt aus der Höhle. Er bückte sich und blickte hinaus. »Nottr hat richtig gesehen, vor der Höhle stehen einige Eisblumen, die so groß wie ich sind!«
»Die Biester scheinen uns nicht gut gesinnt zu sein«, stellte Sadagar sachlich fest. »Was tun wir?«
»Wir könnten uns in der Höhle verschanzen«, sagte Dardo nachdenklich, »aber das wäre auch keine Lösung. Irgendwann gehen unsere Lebensmittelvorräte zu Ende, und dann müssen wir uns den Eisgeschöpfen stellen.«
»Richtig«, sagte Aravo nickend.
»Daher bleibt uns nur eine Möglichkeit: hinausgehen und uns zum Kampf stellen!«
Kurze Zeit später waren sie marschbereit.
»Ich gehe voraus«, sagte Nottr. »Haltet euch unbedingt hinter mir! Mit meinem flammenden Schwert kann ich die Eismonster am leichtesten vernichten. Keinesfalls dürfen wir uns von den Geschöpfen auseinandertreiben lassen. Nur vereint können wir überleben.«
Der Barbar warf Olinga einen Blick zu, die ihm aufmunternd zulächelte, dann zog er das Krummschwert und ließ die Klinge glühen. Sein Schritt war fest und entschlossen, als er ins Freie trat und auf die Eisblumen zuging, die vor dem weißglühenden Schwert zurückwichen.
»Das Feuer schreckt sie ab«, lachte Nottr.
Zu beiden Seiten wichen die bizarr geformten Eisblumen zurück und gaben so eine schmale Gasse frei, die genau auf den Eiswald zuführte. Nun hielt sich aber Nottr nach links, da er dem Eisdschungel ausweichen wollte. Sein Vorhaben schien zu gelingen, doch kurz danach klafften plötzlich tiefe Spalten im Boden, die sie nicht überspringen konnten. Und diese Abgründe verliefen so, dass sie wieder in Richtung Eiswald marschieren mussten .
Das alles war so unheimlich für Nottr, dass ihm kalte Schauer über den Rücken rannen.
Wieder tat sich laut krachend vor ihm ein Abgrund auf, der bis zum Mittelpunkt der Welt zu reichen schien.
Wütend knurrend ging er weiter nach rechts. Die glitzernden Bäume kamen immer näher. Und nun konnte er auch die herumlaufenden Geschöpfe besser erkennen. Sie sahen tatsächlich wie riesige Wölfe aus, die heisere Schreie ausstießen und sie aus starren Augen bösartig musterten.
Der Himmel änderte rasch die Farbe. Das Grau verschwand und machte einem strahlenden Blau Platz. Geblendet schloss Nottr die Augen, als die Sonnenstrahlen den Eiswald zum Funkeln brachten. Er blinzelte, wandte den Kopf ab und sah nun die Gipfel der schneebedeckten Götterberge.
»Das sieht alles sehr eindrucksvoll aus«, bekannte Sadagar leise.
»Und sehr bedrohlich«, meinte Olinga, die neben Nottr stehenblieb.
»Haltet die Waffen bereit!« sagte Nottr. »Wir werden versuchen, den Wald zu durchqueren.«
Zielstrebig stapfte der Barbar auf den Eiswald zu; dabei schwang er das glühende Schwert und stieß einen Kampfschrei aus. Die Bäume, die anscheinend fest mit dem Boden verbunden waren, konnten nicht
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