Das Tor des Suedens
blickten sie in das graue, entstellte Gesicht des Mannes, das mit Frostbeulen übersät war, die teilweise aufgeplatzt waren und stark wässerten.
Olinga und Sadagar knieten neben ihm nieder. Die junge Karsh-Frau verstand sich auf die Heilkunst. Nach dem Tod Chwums, des Schamanen ihres Stammes, hätte sie seinen Platz einnehmen sollen, doch es war anders gekommen.
»Dieser Mann hat nicht mehr lange zu leben«, sagte sie. »Wir können nur seine Schmerzen lindern. Oder siehst du eine Möglichkeit, ihn zu retten, Sadagar?«
Der Steinmann schüttelte den Kopf. Auch er verstand sich ein wenig auf die Kunst des Heilens. Aber hier versagten seine Fähigkeiten; der Tod würde den Bewusstlosen bald von seinen Schmerzen erlösen.
»Entkleidet ihn«, sagte Olinga und stand auf.
Doch das war nicht so einfach, denn die Kleider waren steif gefroren und klebten an manchen Stellen an dem Fleisch.
Olinga schüttete dampfenden Tee in einen Tonbecher, dann holte sie aus ihrem Ledersack ein Säckchen hervor, dem sie ein farbloses Pulver entnahm, das sie langsam in den Tee einrührte.
Sie betteten den Sterbenden auf ein Fell, und Barko und Dardo massierten die eiskalten Anne und Beine. Der Mann stöhnte tief auf, dann bewegten sich seine Lider zuckend. Er schlug die Augen auf und stierte die Männer verständnislos an.
Die Karsh-Frau hockte sich neben dem Mann nieder, legte ihre linke Hand unter seinen Kopf und hob ihn ein wenig hoch. »Trink«, sagte sie und hielt den Becher an die aufgeplatzten Lippen.
Gierig trank er. Doch sie flößte ihm den schmerzstillenden Tee nur schluckweise ein.
»Danke«, flüsterte er, als der Becher leer war.
Sie hüllten ihn in Felle.
»Ich bin Wanto«, sagte er fast unhörbar. »Ich danke euch. Eure Götter werden es euch danken.« Sein Dialekt war ziemlich schwer zu verstehen.
»Woher kommst du, Wanto?« fragte Sadagar.
»Ich gehöre zum Stamm der Zythen«, antwortete Wanto stockend. »Unser Dorf liegt in einem Tal auf der Südseite des Okus, des Götterberges. Das Sprechen strengt mich an, ich…«
Immer mehr Frostbeulen platzten auf. Olinga wischte die Wunden trocken und schmierte eine Salbe darauf.
»Ich weiß, dass ich sterben muss«, krächzte er kurze Zeit später. »Ich muss euch warnen. Ihr habt das Land des Schweigens erreicht, in dem die Eisgötter hausen. Ich wurde hierhergetrieben. Ein Schneesturm, der mich und meine Gefährtin überraschte.« Er begann leise zu weinen. »Patta, meine Patta.«
»Was weißt du über die Eisgötter?« fragte Aravo.
»Nichts. Ich weiß nichts über sie, außer dass dieses Land hier verflucht ist. Eisgeister jagten mich, ein Drache entführte Patta, und dann fand ich sie wieder… Ich fand sie hier auf dieser Ebene… ja, ich habe sie gefunden. Sie…« Wanto bäumte sich auf. »Ich verbrenne«, sagte er gurgelnd.
Olinga ließ ihn noch einen Becher Tee trinken.
»Was ist mit deiner Gefährtin, Wanto?«
Er starrte Nottr durchdringend an, dann wurde sein Blick trüb, und er schloss wieder die Augen.
»Sie ist ganz nahe«, hauchte er fast unhörbar. »Gefangen in einem Eisblock. Vielleicht lebt sie noch. Versprecht mir, dass ihr sie befreien werdet.« Seine Stimme wurde lauter. »Versprecht es mir.«
»Ja, wir versprechen es dir«, sagte Nottr feierlich.
»Sie ist lebend in einem Eisblock eingesperrt worden. Hütet euch vor den Eisgöttern. Überall lauern Gefahren. Arme wachsen aus den Wänden und…«
Ermattet schwieg er. Sein Gesicht war nun feuerrot geworden, und Schweiß strömte über seine Stirn. Sein Atem kam rasselnd und unregelmäßig.
»Die Sagen sind wahr«, flüsterte er. »Hier wimmelt es von Ungeheuern, die dem Eisgott dienen. Ich warne euch…«
Sein Mund verkrampfte sich, und seine Lider begannen zu zucken, dann krampfte sich sein Körper nochmals zusammen, streckte sich und lag ruhig.
»Er ist tot«, sagte Olinga leise.
»Möge seine Seele zu seinen Göttern finden«, sagte Aravo mit bebender Stimme.
Dann schwiegen alle und versuchten, das eben Gehörte zu verarbeiten.
Sie hüllten Wanto in seine Kleider, trugen ihn aus der Höhle und legten ihn nieder.
Es war noch immer hell, ein leichter Wind strich über die Ebene, und der Schnee kam in sanften Wellen auf sie zu. Ein leises Heulen lag in der Luft, das wie das Wehgeschrei verdammter Seelen klang.
»Ich werde mich ein wenig umsehen«, meinte Nottr. »Wer kommt mit?«
Alle meldeten sich.
»Aravo kommt mit«, sagte Nottr. »Die anderen gehen zurück in die
Weitere Kostenlose Bücher