Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Titel: Das Tor zur Hölle - Hellraiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
nicht darum geben, frei von solcher Gesellschaft zu sein!
    Sie schluckte und sprach in die Dunkelheit.
    »Ich höre dich«, sagte sie, nicht sicher, warum ihr diese Worte kamen oder an wen sie gerichtet waren.
    Das Küchenschabenrascheln hielt einen Augenblick inne und begann dann von neuem, diesmal noch heftiger. Sie verließ ihren Platz an der Tür und ging auf das Geräusch zu. Es ertönte weiterhin, als würde es sie herbeirufen.
    Es war leicht, sich in der Dunkelheit zu verschätzen, und sie erreichte die Wand, bevor sie damit gerechnet hatte. Schnell hob sie die Hände und führ mit ihren Handflächen über den Putz. Die Oberfläche war nicht überall gleich kühl. Es gab eine Stelle, ihrer Schätzung nach etwa auf der Hälfte zwischen Tür und Fenster, wo die Kälte so durchdringend wurde, daß sie die Hände fortnehmen mußte. Die Küchenschabe hörte auf zu rascheln.
    Ein Augenblick folgte, in dem sie völlig orientierungslos in der Dunkelheit und Stille dahintrieb. Und dann bewegte sich plötzlich etwas vor ihr. Ein Streich, den ihr die Fantasie spielte, mutmaßte sie, denn hier konnte jeder Lichtschein nur eingebildet sein. Doch das, was sie als nächstes sah, belehrte sie eines Besseren.
    Die Wand war hell erleuchtet; oder genauer gesagt, etwas brannte dahinter mit einer so kalten Leuchtkraft, daß die festen Mauersteine selbst ohne Substanz zu sein schienen. Mehr noch: Die Wand begann sich aufzulösen, Teile davon änderten ihre Position und verschoben sich wie die Requisiten eines Zauberers, gut geschmierte Paneele glitten beiseite und gaben den Blick frei auf verborgene Kästen, deren Seitenwände dann ihrerseits in sich zusammenfielen, um ein weiteres Versteck zu offenbaren. Sie schaute angespannt zu und wagte nicht, auch nur zu blinzeln, aus Angst, die kleinste Einzelheit dieses außergewöhnlichen Taschenspielertricks zu verpassen, bei dem Teile der Welt vor ihren Augen auseinanderfielen.
    Dann sah sie (oder vermeinte zu sehen) plötzlich irgendwo inmitten dieses immer komplexeren Systems aus sich verschiebenden Teilen eine Bewegung. Erst jetzt bemerkte sie, daß sie seit Beginn dieses Schauspiels den Atem angehalten hatte und nun etwas benommen wurde. Sie versuchte, die abgestandene Luft aus ihren Lungen zu stoßen und frische einzusaugen, doch ihr Körper weigerte sich, diesem simplen Befehl Folge zu leisten.
    Irgendwo in ihrem Inneren begann sich Panik zu regen. Der Hokuspokus war nun vorbei. Ein Teil von ihr bewunderte zwar noch leidenschaftslos die glockenspielähnliche Musik, die aus der Wand herüberdrang, der andere Teil aber kämpfte gegen die Angst an, die sich langsam ihre Kehle hinaufschob.
    Abermals versuchte sie, Luft zu holen, doch es war, als wäre ihr Körper gestorben und als würde sie unbeteiligt aus ihm herausstarren, unfähig zu atmen oder zu blinzeln oder zu schlucken.
    Das Schauspiel der sich öffnenden Wand war nun vollkommen zum Stillstand gekommen, und sie sah etwas über die Mauersteine flackern – zerrissen und bruchstückhaft wie ein Schatten, doch zu greifbar, um wirklich einer zu sein.
    Es war menschlich, erkannte sie, oder war es zumindest einmal gewesen. Doch der Körper war auseinandergerissen und wieder zusammengenäht worden, wobei die meisten Einzelteile entweder fehlten oder verformt und geschwärzt waren, als wären sie aus einem Hochofen gekommen. Dort war ein Auge, das sie anfunkelte, und die Kontur eines Rückgrats, die Wirbel von Muskelfleisch entkleidet; dort ein paar unidentifizierbare Fragmente der Anatomie. Das war alles. Daß so ein Ding lebendig sein konnte, widersprach jeglicher Vernunft – das wenige Fleisch, das noch an ihm klebte, war hoffnungslos verfault. Und dennoch lebte es. Ein Auge musterte, trotz der verwesten Hautfetzen, in denen es verwurzelt war, jeden Zentimeter von ihr, vom Kopf bis zu den Zehen.
    Sie verspürte keine Angst in seiner Gegenwart. Das Ding war weit schwächer als sie. Es bewegte sich ein wenig in seiner Zelle, suchte nach irgendeinem Funken Trost. Doch es war keiner zu finden; nicht für eine Kreatur, die ihre zerfetzten Nerven offen und blutend zur Schau trug. Jede Stellung, in die es seinen fragmentarischen Körper bewegte, brachte Schmerz – das erkannte sie ganz deutlich. Sie hatte Mitleid mit ihm. Und mit dem Mitleid kam die Erlösung aus der Erstarrung. Ihr Körper stieß die tote Luft aus und sog lebende ein, ihr nach Sauerstoff hungerndes Gehirn funktionierte benommen.
    Und noch während das geschah, sprach

Weitere Kostenlose Bücher