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Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Das Tor zur Hölle - Hellraiser

Titel: Das Tor zur Hölle - Hellraiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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scheitern konnten. Julia zum einen … Er erinnerte sich an sie als an eine dumme, eingebildete Frau, deren Erziehung ihre Fähigkeit zur Leidenschaft an die Kette gelegt hatte. Natürlich hatte er sie entfesselt – einmal. Der Tag hob sich aus den tausenden von Malen, wo er mit einer Frau geschlafen hatte, ab, und er erinnerte sich mit einiger Befriedigung daran. Sie hatte sich nicht mehr geziert, als für ihre Eitelkeit nötig gewesen war, und sich dann mit solch nackter Inbrunst hingegeben, daß er beinahe selbst die Kontrolle über sich verloren hätte.
    Unter anderen Umständen hätte er sie vielleicht ihrem Möchtegern-Ehemann vor der Nase weggeschnappt, doch einige Überlegungen hatten stark dagegen gesprochen. In ein oder zwei Wochen wäre er ihrer überdrüssig gewesen, und dann hätte er nicht nur eine Frau am Hals gehabt, deren Körper schon längst eine Beleidigung für sein Auge war, sondern auch noch einen rachedürstenden Bruder. Es wäre die ganze Mühe nicht wert gewesen.
    Außerdem hatte es neue Welten gegeben, die nur darauf warteten, von ihm erobert zu werden. Er war am folgenden Tag in Richtung Osten abgereist: Nach Hongkong und Sri Lanka; zu Reichtum und Abenteuer. Und er hatte beides gefunden. Zumindest für eine Weile. Doch alles war ihm früher oder später durch die Finger geronnen, und mit der Zeit begann er sich zu fragen, ob es die Umstände waren, die es ihm unmöglich machten, das Erreichte fest in der Hand zu behalten, oder ob er einfach zu gleichgültig war, um zu bewahren, was er hatte. Dieser Gedankengang erwies sich, erst einmal begonnen, als unkontrollierbar. Überall in dem Chaos um ihn herum fand er Beweise für dieselbe bittere These: daß er in seinem Leben auf nichts gestoßen war – auf keine Person, keinen seelischen oder körperlichen Zustand – für das er willens gewesen wäre, auch nur die geringste flüchtige Unannehmlichkeit auf sich zu laden.
    Eine abwärtsgerichtete Spirale setzte sich in Gang. Er verbrachte drei Monate in einem Strudel aus Depression und Selbstmitleid, der ans Selbstmörderische grenzte. Doch selbst diese Lösung wurde ihm durch seinen neu empfundenen Nihilismus verwehrt. Wenn es nichts gab, für das es sich zu leben lohnte, so folgte daraus doch wohl, daß es auch nichts gab, für das es sich zu sterben lohnte. Er taumelte von einem hoffnungslosen Zustand in den nächsten, bis alle Gedanken von irgendeinem jener Opiate zerfressen waren, die er sich noch kaufen konnte.
    Wann hatte er zuerst von Lemarchands Würfel gehört? Er konnte sich nicht daran erinnern. In einer Bar vielleicht – oder in irgendeiner Gosse, von den Lippen eines anderen Pennbruders. Damals schien es ihm kaum mehr als ein Gerücht – jener Traum von einem Paradies, in dem all jene, die die trivialen Freuden der Menschheit bis zur Neige ausgeschöpft hatten, eine neue Definition der Lust finden konnten. Und der Weg zu diesem Paradies? Es gab mehrere, so erzählte man ihm, Landkarten der Gebiete zwischen dem Realen und dem noch Realeren, angefertigt von Reisenden, deren Gebeine schon längst zu Staub zerfallen waren. Eine dieser Karten lag in den Stahlkammern des Vatikans, verborgen im Code einer theologischen Schrift, die seit der Reformation niemand mehr gelesen hatte. Eine andere – in der Form einer Origamiübung, hatte sich der Überlieferung nach im Besitz des Marquis de Sade befunden, der sie, während er in der Bastille saß, bei einem Wärter gegen das Papier eintauschte, auf das er Die 120 Tage von Sodom schrieb. Noch eine weitere war von einem Handwerksmeister namens Lemarchand – einem Erbauer von künstlichen mechanischen Vögeln – geschaffen worden, und zwar in Form einer Spieldose in Würfelform von solch ausgeklügelter Bauart, daß ein Mensch sein halbes Leben daran herumspielen konnte, ohne je ins Innere vorzudringen.
    Geschichten, Geschichten. Doch seit er soweit gekommen war, an nichts mehr zu glauben, war es nur noch ein kleiner Schritt, die Tyrannei der beweisbaren Wahrheit aus seinem Kopf zu verbannen. Und außerdem vertrieb es einem die Zeit, sich im betrunkenen Zustand derartigen Fantasien hinzugeben.
    Es war in Düsseldorf, wohin er Heroin geschmuggelt hatte, wo er abermals auf die Geschichte von Lemarchands Würfel stieß. Seine Neugier wurde von neuem gereizt, und diesmal folgte er der Geschichte, bis er ihren Ursprung gefunden hatte. Der Name des Mannes war Kircher, obwohl er wahrscheinlich noch ein halbes Dutzend anderer Namen

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