Das Totenschiff
kein noch so fürchterlicher Bannstrahl des Himmels mehr treffen, denn als ich fragte: »Heizer, was ist denn los?«, da heulte er wie eine blutdürstige Bestie: »Sechs Roste sind ’rausgefallen. Heilige verhur – – «
31.
Stanislaw hatte beim Raufgehen gesagt, daß das Herausfallen der Roste Blut kostet. Damit meinte er, wenn einer ’rausfällt. Jetzt waren sechs ’raus. Sie einzusetzen kostete nicht nur Blut und nicht nur abgestoßene Fleischstücken und abgeschmorte Hautfetzen, das kostete blutendes Sperma, herausgezerrte Sehnen, das Mark floß einem wie wäßrige Lava aus den Knochenröhren, die Gelenke krachten wie Holz, das gebrochen wird. Und während wir arbeiteten wie verblödete Maden, fiel der Dampf und fiel und fiel. Und wir sahen die Arbeit, die uns bevorstand, den Dampf wieder hochzubringen. Sie kroch und würgte sich in unsre Kadaver, während wir mit den Rosten würgten. Seit jener Nacht stehe ich über den Göttern. Ich kann nicht mehr verdammt werden. Ich bin frei, darf unbekümmert tun und lassen, was ich will. Ich darf Götter verfluchen, darf mich verwünschen, darf handeln, wie es mir gefällt. Kein menschliches Gesetz, kein göttliches Gebot mehr kann meine Handlungen beeinflussen, denn ich kann nicht mehr verdammt werden. Die Hölle ist ein Paradies. Keine menschliche Bestie kann Höllenqualen ausdenken, die mich erschrecken könnten. Wie immer auch die Hölle beschaffen sein mag, sie ist Erlösung. Erlösung vom Einsetzen ’rausgefallener Roste auf der »Yorikke«.
Der Skipper ist nie im Kesselraum gewesen und keiner der beiden Offiziere. Freiwillig ging niemand in diese Hölle. Sie machten sogar einen Umweg, wenn sie am Einsteigschacht vorbei mußten. Die Ingenieure wagten sich in den Kesselraum nur, wenn die »Yorikke« sanft im Hafen lag und der Kesselbums Reinigungsarbeiten machte, Rohre ziehen, Maschinenhalle putzen und ähnliche dreckige Tagesarbeiten. Selbst dann hatten die Ingenieure diplomatisch mit den Schwarzen Banditen umzugehen. Denn die waren immer und immer in einem Zustande, dem Ingenieur einen Hammer an den Schädel zu pfeffern. Was bedeutete dem Kesselbums Gefängnis, Zuchthaus oder der Henker? Nicht einen Pfifferling machten die sich daraus.
Von der Maschinenhalle aus führte ein schmaler niedriger Gang zwischen dem Steuerbordkessel und der Steuerbordwand zu dem Kesselraum. Dieser Gang war von der Maschinenhalle durch eine schwere eiserne kleine Tür, die wasserdicht war – was auf der »Yorikke« wasserdicht genannt werden konnte – abgetrennt. Kam jemand von der Maschinenhalle und hatte er die Luke passiert, so mußte er mehrere Stufen hinuntergehen, um den Gang zu erreichen. Dieser Gang war drei Fuß nur breit und so niedrig, daß man ganz gebückt gehen mußte, um sich nicht den Kopf an den eisernen, scharfkantigen Querstreben einzurennen. Der Gang war, wie alles auf der »Yorikke« und wie auch der Kesselraum, stockdunkel bei Tage und bei Nacht. Zudem war der Gang heiß wie ein Hochofen. Wir, die Schlepps, fanden uns in dem Gange mit verbundenen Augen zurecht, denn er gehörte mit zu den Spezialmarterwegen. Durch diesen Gang hatten wir einige hundert Tonnen Kohle nach den Kesseln zu schaufeln und zu quetschen, von den Bunkern, die neben der Maschinenhalle lagen. Wir kannten diesen Martergang und seine labyrinthischen Rätsel. Andre Leute kannten ihn nicht so gut.
Fiel nun der Dampf erheblich, weit unter hundertdreißig, dann mußte der wachhabende Ingenieur etwas tun. Dafür wurde er ja bezahlt. Der Erste kam auch nicht in den Kesselraum. Auf Fahrt nie. Ein zerschlagenes Schulterblatt hatte ihn gelehrt, daß man den Kesselbums auf Fahrt nicht belästigen darf. Er rief nur von oben, vom Deck aus, den Schacht hinunter: »Der Dampf fällt!« Dann war er aber auch schon weg. Denn von unten kam das Gebrüll: »Du gottverfluchter Hurenhund, das wissen wir selber. Komm ’runter, du Schwein, wenn du was willst.« Dabei flogen aber auch schon Kohlenstücken gegen die Einsteigluke.
Man rede dem Arbeiter nichts von Anstand, Höflichkeit und guten Sitten, wenn man ihm nicht gleichzeitig die Bedingungen geben will, daß er anständig und höflich bleiben kann. Dreck und Schweiß färben ab, nach innen mehr als nach außen.
Der Zweite Ingenieur war noch verhältnismäßig jung, vielleicht sechsunddreißig. Er war ein großer Streber und wollte gern Erster werden. Er glaubte, seine Strebsamkeit am besten beweisen zu können dadurch, daß er den Kesselbums
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