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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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verlöschten. Alles, was an vorrätiger Kohle im Kesselraum lag, wurde in der Zeit aufgefressen und mußte nachgeschleppt werden.
    Als wir endlich die sechs Roste drin hatten und keiner es wagte, in der Nähe der Feurungstür fest aufzutreten, um die Barren nicht zu erschüttern und sie von ihren Millimeterstütznarben abzuwerfen, fielen wir beide leblos in einen Kohlenhaufen. Leblos ist die richtige Bezeichnung; denn jegliches Leben in uns war für eine halbe Stunde erloschen. Wir bluteten, aber wir fühlten es nicht, unsre Haut war in Streifen und großen Flecken von Armen, Händen, Brust und Rücken abgeschmort, aber wir fühlten es nicht. Wir hatten nicht mehr die Kraft, zu atmen.
    Ein Hauch des Lebens kam endlich zurück, und wir hatten den Dampf wieder hochzubringen. Aus den fernsten Winkeln des Schiffes mußte die Kohle geschleppt werden, denn die Kohlenbunker lagen da, wo sie am wenigsten Laderaum wegnehmen konnten. Die Laderäume waren die Hauptsache. Ihretwegen fuhr die »Yorikke«, ihretwegen fährt jedes Schiff. Die Kohle, das Essen für das Schiff, war Nebensache, wie das Essen für die Mannschaft Nebensache war. Wo ein Winkel frei war, der als Laderaum nicht verwendet werden konnte, da wurde Kohle verbunkert, und da mußte sie weggeschleppt werden. In einer Wache von vier Stunden verbrauchten die neun Feuer der »Yorikke« mehr als vierzehnhundertfünfzig volle schwere Schaufeln Kohle. Diese vierzehnhundertfünfzig Schaufeln mußten herbeigeschleppt werden. Und das mußte getan werden neben dem Ausschlacken, neben dem Aschfallziehen, neben dem Aschehieven und, in gebenedeiten Wachen, neben dem Rosteeinsetzen.
    Das mußte getan werden von nur einem Kohlenschlepp, dem dreckigsten Mann der Mannschaft, dem verachtetsten, der weder Matratze hatte noch eine Decke, noch ein Kissen, noch einen Teller, noch eine Gabel, noch eine Tasse, mußte getan werden von einem Manne, dem satt zu essen zu geben nicht durchführbar war, weil die Kompanie behauptete, sonst nicht konkurrenzfähig zu sein. Und daß Kompanien konkurrenzfähig sein müssen, darauf achtet sogar der Staat. Dafür achtet er um so weniger darauf, daß die Menschen konkurrenzfähig bleiben. Beide, Kompanien und Arbeiter, können nicht gleichzeitig konkurrenzfähig gemacht werden.
    Um vier wurde mein Heizer abgelöst. Ich nicht. Ich ging meine Ablösung, den Stanislaw, um zwanzig vor fünf wecken, zum Aschehieven. Ich mußte ihn aus der Bunk ziehen. Er war wie ein Klotz.
    Er war schon lange auf der »Yorikke«. Er war daran gewöhnt. Wenn jemand, vielleicht der Passagier einer Luxuskabine, durch Neugier getrieben, an dem Kesselschacht vorbeikommt, so ist sein erster Gedanke: »Wie ist es möglich, daß da Menschen arbeiten können?«
    Aber da flüstert ihm sofort der, der immer zur Hand ist und ihm das Leben erträglich macht, ins Ohr: »Das sind die gewöhnt, die merken davon nichts.«
    Damit kann man alles entschuldigen, und damit entschuldigt man alles. Sowenig wie sich ein Mensch an Lungentuberkulose gewöhnt, sowenig wie er sich daran gewöhnt, dauernd zu hungern, sowenig kann sich ein Mensch daran gewöhnen, etwas zu ertragen, was am ersten Tage körperliche und seelische Qualen bereitet, die man niemand gönnen mag, der Menschenantlitz trägt. Mit der nichtswürdigen Ausrede: »Die sind daran gewöhnt!« entschuldigt man auch das Auspeitschen der Sklaven.
    Stanislaw, ein robuster Bursche, hatte sich nie daran gewöhnt, ich habe mich nie daran gewöhnen können, und ich habe nie einen Menschen gesehen, der sich an Qualen je gewöhnt hätte. Weder Tiere noch Menschen können sich an Qualen gewöhnen, nicht an körperliche, nicht an seelische. Sie werden nur abgestumpft, und das nennt man Gewöhnung. Doch ich glaube nicht, daß je ein Mensch so abgestumpft werden kann, daß er sich nicht nach Erlösung sehnt, daß er nicht in seinem Herzen den ewigen Schrei trägt: »Ich hoffe, daß mein Befreier kommt!« Nur der allein hat sich gewöhnt, der nicht mehr hofft.
    Die Hoffnung der Sklaven ist die Macht der Herren.
    »Ist das schon fünf?« sagte Stanislaw. »Ich habe mich doch soeben erst hingelegt.« Er war noch so dreckig, wie er ’raufgegangen war. Auch jetzt konnte er sich nicht waschen. Er war zu müde.
    »Ich will dir sagen, Stanislaw, ich halte es nicht aus. Ich kann um elf nicht Asche hieven und um zwölf ablösen. Ich gehe über die Reling.«
    Stanislaw saß auf der Bunk, guckte mich verschlafen an, gähnte und sagte: »Tu das nicht. Ich kann

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