Das Totenschiff
sprechen, dann sind zwei davon »Hurensohn«. Es kommt auf den Grad der Freundschaft an, ob man zu jemand sagen darf, daß seine Mutter eine Groschenhure war. Je näher man dabei der Wahrheit kommt, desto mehr Aussicht hat man, sich plötzlich ein Messer aus den Rippen ziehen zu können. Je weiter man von der Wahrheit entfernt ist, desto früher hört man die Antwort: »Muchas gracias, Senjor, vielen Dank, bitte, genieren Sie sich nicht, stets zu Ihren Diensten.« Niemand hat ein so zartes und so albernes Ehrgefühl wie der dreckigste Prolet. Und wenn die dreckigen Proleten eines Tages das Ehrgefühl dort haben werden, wo es wirklich hingehört, dann sind sie die Lacher. Heute haben sie ihr Ehrgefühl da, wo es die andern bei ihnen gerne sehen, weil sich dann so gut damit spielen läßt, zum Vorteil der andern. Was brauchst du Ehre, Prolet? Lohn brauchst du, guten Lohn, dann kommt die Ehre von selbst. Und wenn du auch noch die Fabrik hast, dann kannst du die Ehre ruhig den andern dauernd überlassen; dann erst wirst du erfahren, wie wenig sich die draus machen…
Der Heizer der Vorwache zog jetzt einen glühenden dicken Bolzen aus dem Feuer und steckte ihn in einen Eimer mit Frischwasser. In Seewasser kann man sich ja nicht waschen, das ist kaum gut genug zum Schlackenkühlen. Dann begann er sich zu waschen mit Sand und Asche, weil er ja keine Seife hatte.
Der Kesselraum war durch zwei Lampen erhellt. Eine dieser beiden Lampen hing vor dem Dampfmeter, damit der Dampfdruck gelesen und von dem Heizer geregelt werden konnte. Die andre Lampe hing in einer Ecke und wartete auf den Schlepp. In dieser Welt der Toten wußte man nichts von einer Erde, wußte man nichts davon, daß es Azetylenlampen, Kunstgaslampen, Gasolinlaternen, Spirituslaternen gab, gar nicht zu reden von Elektrizität, die sich durch Ankoppelung eines Dynamo leicht hätte erzeugen lassen. Aber jeder Cent, ausgegeben für die »Yorikke«, war verschwendetes Geld. Die Fische mit Geld zu füttern, wäre närrisch, sie sollen zufrieden sein mit der Mannschaft. Diese Lampen hier waren bei den Ausgrabungen des alten Karthago gefunden worden.
Wer die Form dieser Lampen kennenlernen will, gehe in ein Museum, sehe sich die römische Abteilung an, wo er unter den Töpferwaren auch diese Lampen, die wir hatten, finden wird. Es war ein Gefäß mit einer Tülle. In der Tülle steckte ein Ballen Putzwolle. Das Gefäß wurde gefüllt mit jener Flüssigkeit, die auch für die Jungfrauenlampe im Quartier zu dienen hatte und die den auf Irrwege führenden Namen Petroleum trug. Viermal in einer Stunde mußte die Putzwolle weiter herausgezerrt werden, weil sie kohlte und den Kesselraum mit einem undurchsichtigen dicken schwarzen Rauch erfüllte, in dem die Rußflocken so dicht flogen wie Heuschrecken in Argentinien während einer Plage. Die Putzwolle mußte man mit den bloßen Fingerspitzen herauspulen, deshalb hatte man nach der ersten Wache abgeschmorte Fingernägel und angeschmorte Fingerspitzen. Wenn man mit seiner Lampe in den Kohlenbunkern saß, konnte man nicht die Lampe erst ausmachen, weil man ja sonst in den Kesselraum ’runter gemußt hätte, um sie wieder anzustecken.
Stanislaw hatte heute bereits eine Doppelwache gerissen. Was das bedeutet, wird noch klarwerden. Trotzdem er kaum noch kriechen konnte, blieb er doch mit mir noch eine volle Stunde im Kesselraum, um mir beizustehen. Neun Feuer mußten von dem Heizer bedient werden. Und um diese neun Feuer zu füttern, hatte der Schlepp die Kohle heranzuschaffen. Ehe aber mit dem Heranschaffen der Kohle begonnen werden konnte, waren andre Arbeiten zu verrichten. Da die Feuer selbst auf diese Arbeiten keine Rücksicht nahmen und sie jede Vernachlässigung sofort am Meter herausbrüllten oder gar auf der Brücke herausheulten, so mußte ein erheblicher Vorrat von Kohle im Kesselraum angeschichtet sein, der für diese Zeit der Nebenarbeiten langte. Diesen großen Vorrat mußte die abzulösende Wache für die neuantretende Wache hinterlassen, und diese neue Wache hatte, wenn sie abgelöst wurde, einen gleichen Vorrat der nächsten zu übergeben. Dieser Vorrat konnte nur geschaffen werden durch eine unmenschlich erscheinende Kraftanstrengung in der Zeit der beiden mittleren Stunden einer Wache, also bei meiner Wache von eins bis drei. Von zwölf bis eins kamen die Vorarbeiten, und um drei begann das Aschehieven mit dem Schlepp der neuen Wache. In zwei Stunden also mußte alle die Kohle herbeigeschafft werden, die
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