Das Trauma
die Arme um mich. Besitzt mich mit seinen Armen.
»Mm …«
»Alles in Ordnung?«
Wozu all diese sinnlosen Fragen? Alles in Ordnung? Was denn? Dass wir gevögelt haben? Dass er mich so fest an sich gedrückt hat? Dass es war, als ob wir zusammengehörten? So richtig? Aber dieses Gefühl war schnell wieder vorbei.
»Mm. Das war schön.«
»Ich hab dich so gern.«
Sein Mund, der meinen Nacken küsst. Sanft. Satt jetzt.
»Ich hab dich auch gern.«
Und das ist keine Lüge. Denn ich mag ihn. Sehr. Ich kann nur nicht die ganze Zeit diese erstickende Zweisamkeit ertragen.
»Danke«, murmelt er und gähnt.
Und abermals frage ich mich: Wofür? Weil ich ihn an mich herangelassen habe? Weil er in mich hineindurfte? Weil ich ihn immer noch nicht weggeschickt habe?
Von draußen höre ich das Rauschen der Wellen, die sich gegen die Felsen werfen. Rhythmisch. Wie sein Puls.
Ich muss es versuchen.
Zum hundertsten Mal verspreche ich mir, dass ich versuchen werde, die normale Frau zu werden, die er sich wünscht. Die er verdient.
Die ich gern wäre.
Patrik streckt seine große rote Faust aus. Obwohl es in meinem Sprechzimmer dunkel ist, sehe ich, was es ist. Auf seiner Handfläche liegen zwei kleine weiße Pillen, keine größer als ein kleiner Fingernagel.
Eigentlich hätte ich erst nächste Woche wieder einen Gesprächstermin mit Mia und Patrik, aber Patrik hat angerufen und um ein zusätzliches Gespräch gebeten.
Etwas ist geschehen.
»Ich will eine Antwort«, sagt er mit Düsterkeit im Blick. »Bist du jetzt auch noch süchtig, oder was? Meine Frau. Die Mutter meiner Kinder ist … Junkie. Ist das so, Mia? Du weißt … ich hätte dir ja alles Mögliche zugetraut. Aber das hier … was zum Henker hast du dir denn dabei gedacht? Vielleicht: Na ja, im Leben läuft’s grad nur noch blöd, und die Kinder sind scheißanstrengend, da dröhn ich mir doch lieber die Birne zu. Hier auf dem Sofa hab ich’s sicher gut. Die Kinder können ja sehen, wie sie zurechtkommen.«
Mia starrt den Boden an, ihr Gesicht ist so gefühllos wie ein unbeschriebenes Blatt. Die Hände, mit dem abgeblätterten dunkellila Nagellack, hängen bewegungslos zwischen den kräftigen Oberschenkeln. Auch heute trägt sie eine Männerjacke. Die vergrößert auf wenig schmeichelhafte Weise ihren ohnehin schon kompakten Körper.
»Stopp!« Ich falle Patrik ins Wort. »Vielleicht erzählen Sie erst einmal, was passiert ist?«
Patrik seufzt tief, kratzt sich in den blondierten, schräg gekämmten Haaren und stellt die Beine gerade. Seine Jeans sind so eng, dass er seine langen Beine nur mit großer Mühe ausstrecken kann. Sie reichen fast bis zu meinen Füßen, und unwillkürlich ziehe ich meine eigenen Beine unter den Sessel. Dem Klienten ja nicht zu nahe kommen.
»Als ich gestern um fünf nach Hause kam, lag Mia auf dem Sofa und schlief. Total unansprechbar. Der Fernseher lief. Und Gunnel, Herrgott … Gunnel hatte sich tiefgefrorenes Hackfleisch aus dem Kühlschrank genommen – den kann sie jetzt aufmachen – und sie, sie nagte daran. Verstehen Sie? Mia war … high … und meine hungrige Tochter nagte an einem Block aus gefrorenem Hackfleisch. Ihr Mund war total verschmiert vom Blut. Es war unglaublich widerlich. Wie im übelsten Horrorfilm. Und Lennart … Lennart schlief auf dem Badezimmerboden. Er hatte seine Windel weggerissen, und auf dem Boden lag getrocknete Kacke. Und mitten in allem liegt also Mia, die Mutter meiner Kinder, und schläft. High wie ein verdammter Wolkenkratzer.«
Mia sitzt noch immer unnatürlich still auf ihrem Stuhl. Aber ich kann die feinen Schweißperlen sehen, die auf ihrer Stirn hervortreten und über die Schläfen laufen, und ein fast unsichtbares Zucken in den Mundwinkeln zeigt, wie angespannt sie ist. Patrik mustert sie mit angewidertem Blick.
» Du solltest dich schämen!« Erspuckt diese Wörter aus, als ob sie übel schmeckten.
»Na gut, Patrik, warum glauben Sie, dass Mia … nun, etwas eingeworfen hatte?«
Patrik wirft mir einen skeptischen Blick zu, als zweifelte er ernsthaft an meiner Intelligenz, und spielt an der Tabaksdose herum, die auf seinem Knie liegt.
»Ich habe sie gefunden. Die Tabletten, meine ich. Sie lagen in der Küche. Sobril. Eine ganze Packung. Das kennen Sie doch, oder? Benzo, die übelste Dröhnung. Ich weiß genau, was hier läuft. Seh es nicht zum ersten Mal. Habe nicht vor, meine Familie davon kaputtmachen zu lassen.«
Patrik dreht sich zu Mia um und springt plötzlich auf.
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