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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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Geräte oder etwas anderes leicht Verkäufliches. Dann: In einem ICA -Supermarkt etwas mitgehen zu lassen, ist das eine, ein Wohnungseinbruch schon etwas ganz anderes. Er sieht ein, dass dies für ihn allein eine Nummer zu groß ist. Vielleicht wenn Kevin und Muhammed dabei wären, aber nicht so.
    Er presst die Werbung in seiner Hand zusammen. Wohin soll er die nun stecken? In den Briefschlitz, oder soll er die Tür einfach weiter öffnen und sie direkt in die Diele legen?
    Er entscheidet sich für Letzteres. Wenn er sie in den Briefkasten steckt, könnte die Tür sich ja schließen, und aus irgendeinem Grund will er das nicht. Offenbar hat irgendwer sie ganz bewusst offen gelassen. Vielleicht jemand, der schnell etwas erledigen und nicht ausgesperrt werden will?
    Um elf Uhr abends?
    Langsam öffnet er die Tür ein wenig weiter, nimmt leichten Zigarettengeruch wahr, dazu etwas anderes. Süßlich, organisch, schwer unterzubringen.
    Er schaut in einen dunklen Raum. Ganz weit links strömt Licht aus einem weiteren Zimmer. Einer Küche? In dem schwachen Schein ahnt er etwas neben der geblümten Fußmatte, eine Handtasche. Ganz oben liegt eine Brieftasche. Die ist aufgeschlagen, wie ein Buch, und sieht fett aus. Wie mit Geldscheinen vollgestopft.
    Es ist eher ein Einfall als etwas Geplantes. Geschmeidig geht er in die Knie, streckt die Hand aus und greift danach. Alles geht automatisch. Es ist, wie sich nach einem Zweig zu strecken und einen Apfel zu pflücken. So einfach.
    Shit, wie schwer. Wie viel mag da wohl drinstecken? Genug, um von Nico ein bisschen Gras zu kaufen? Oder genug für einen Computer? Noch mehr gar?
    Sein Zwerchfell zittert vor Erwartung.
    Doch gerade als er die zum Bersten vollgestopfte Brieftasche in seiner Kapuzenjacke verstauen will, sieht er die Füße.
    Die Werbebroschüren segeln wie Papierflieger nach unten und landen lautlos auf der Linoleummatte, und er kann sehen, wie der weiße Zettel von H-I-A-Allservice sich langsam rot färbt.
    Instinktiv tritt er einen Schritt zurück, während zugleich etwas Kaltes in ihm wächst, er reißt sich die Stöpsel aus den Ohren, und nun hört er es. Ein leises Rascheln, als ob jemand mit den Fingernägeln über eine Holzscheibe kratzt. Es kommt aus dem Zimmer, wo das Licht brennt, und er weiß, er dürfte das nicht tun, sein ganzer Körper weiß, es wäre das einzig Richtige, wegzurennen, die starken Beine zu nutzen, mit denen er gesegnet ist.
    Denn in seinem tiefsten Herzen weiß er bereits, dass etwas Entsetzliches passiert ist, dass die Frau, die wie ein formloser Sack zu seinen Füßen liegt, nicht einfach nur über den Rand der Matte gestolpert ist oder einen epileptischen Anfall erlitten hat. Aber er zögert nicht, er sieht nur seine neuen kreideweißen Turnschuhe an, steigt langsam über den Körper hinweg, über die große Lache, weicht diesem roten Klebrigen aus. Geht in die Küche. Hört die Musik aus den iPod-Stöpseln wie ein fernes Knistern, während das kratzende Geräusch zugleich immer lauter wird.
    Sie sitzt unter dem Tisch und ist blutverschmiert. Um sie herum liegen überall Malkreiden, und vor sich hat sie eine Zeichnung, die sie sorgfältig mit einem blauen Stift bearbeitet. Er sieht, dass jeder Quadratmillimeter des Zeichenpapiers bunt bemalt ist, und er fragt sich, ob sie schon lange an der Arbeit sitzt.
    Wie alt mag sie wohl sein?
    Von der Größe her vielleicht fünf. Er kann so etwas sehen, er hat ja vier kleine Geschwister. Sie ist ungefähr so groß wie der vier Jahre alte Tomek.
    Unendlich vorsichtig streckt er die Hand nach ihr aus, streichelt ihre Schulter, und ihre blauen Augen begegnen seinen. Ihr Blick ist fest.
    »Hallo, Kumpel. Du kommst jetzt mit mir.«

Medborgarplatz, Oktober

Kein Opfer.
    Das ist alles, was ich denken kann, als Hillevi das Wort ergreift.
    Sie sitzt ganz gerade da, in einem schlichten schwarzen Kleid, dunkler Strumpfhose und braunen Herrenstiefeln. Regentropfen funkeln in ihren kurzgeschnittenen schwarzen Haaren, und ihr Mund ist weinrot angemalt.
    So schön. So perfekt. Wie eine Puppe.
    Und doch hat er sie geschlagen. Er, der Jakob heißt und ihr Mann ist. Er, von dem sie sagt, dass sie ihn liebt und sich nach ihm sehnt. Er, von dem sie sagt, dass sie ihn respektiert.
    Es ist ein grauer bewölkter Herbstnachmittag, als wir uns in der Praxis treffen. Wie immer sitzen wir in einem kleinen Kreis, schauen einander neugierig an, fast aufgeregt. Aina und ich haben Kaffee und Mineralwasser aufgetischt und

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