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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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einen Zimtkranz aus der Bäckerei in den Söderhallen in Scheiben geschnitten.
    Ein Stuhl bleibt zu unserer Besorgnis leer.
    Kattis’ Stuhl.
    Ich versuche, mir nicht darüber den Kopf zu zerbrechen, warum sie nicht gekommen ist. Nicht daran zu denken, was passiert sein kann. Ich verdränge die Erinnerung an den kahlgeschorenen Mann, der Henrik heißt.
    Hillevi hat angeboten, ihre Geschichte zu erzählen, nein, nicht angeboten, sie wurde dazu überredet. Sie verhielt sich fast dickköpfig, wie eine, die weiß, was sie will, und die daran gewöhnt ist, es zu bekommen.
    Die Hände auf den Knien, keine Nervosität. Die grünen Augen, die ruhig an Aina haften.
    »Jakob und ich haben uns schon ganz jung kennengelernt, in unserer kirchlichen Jugendgruppe. Ich war«, sie überlegt eine Sekunde, schaut auf zu der Leuchtröhre, die ein kaltes weißes Licht in den Raum wirft, »so jung. Ich war so jung.«
    Wieder lächelt sie, aber es liegt keine Bitterkeit in diesem Lächeln. Es ist warm und schön und perfekt, wie alles an ihr.
    »Wir waren also mehr oder weniger unser ganzes Leben zusammen. Sind zusammen aufgewachsen. Haben geheiratet. Eine Familie gegründet.«
    Dann verstummt sie für eine Weile, als suchte sie in ihrer Erinnerung nach etwas, könnte es aber nicht finden.
    »Wie war Ihre Beziehung zu Anfang?«, fragt Aina.
    Hillevi lacht leise und schaut ihre gepflegten Hände an, die dunkelroten kurzen Nägel. Den großen schlichten Silberring.
    »Die war phantastisch. Ist das nicht anfangs immer so? Wir waren sehr verliebt. Wir sind sehr verliebt.«
    Sie hat jetzt etwas Trauriges, aber das hält nur eine Sekunde vor. Dann ist sie wieder so gefasst wie vorher.
    Aina nickt, fragt:
    »Und wann hat es dann angefangen, schiefzugehen?«
    »Nach der Geburt von Lukas, unserem ältesten Sohn. Ich glaube, dass dies in einer Beziehung eine Menge Prozesse auslöst. Dass es eine Menge Dinge aus unserer eigenen Kindheit weckt. Wenn man Eltern wird, bewertet man auch die eigene Kindheit. Die eigenen Eltern als Eltern. Nicht wahr? Jakob war als kleiner Junge selbst geschlagen worden. Er kommt aus einem sozial gut integrierten, aber unglaublich altmodischen Elternhaus. Die Kinder sollten in Zucht und Ordnung und in der Furcht vor dem Herrn erzogen werden.«
    Ich sehe, dass Malin lächelt, sie sitzt neben Hillevi. Auch Hillevi lächelt, dreht sich zu ihr hin. »Du lachst, und ich verstehe, warum. Das klingt total unzeitgemäß, oder?«
    Malin wirkt verlegen, schaut ihre verschlissenen Jeans an, verschränkt ihre muskulösen, sonnenverbrannten Arme vor der Brust. Aber Hillevi wirkt ganz gelassen.
    »Ist schon gut, Malin. Ich weiß, es klingt verrückt. Ich finde es ja selbst auch verrückt. Aber bei den Freikirchlern gibt es viele solcher Menschen, auch wenn die meisten natürlich ganz normal sind. Ich bin zum Beispiel in einer ganz alltäglichen Familie aufgewachsen. Nun, wie auch immer, ungefähr zur selben Zeit wurde Jakob jedenfalls arbeitslos. Er hatte als Buchhalter bei einer Firma gearbeitet, die Konkurs ging. Von einem Tag auf den anderen stand er ohne Arbeit da. Und ich glaube, er hat dabei nicht nur sein Einkommen, sondern seine ganze professionelle Identität verloren. Er fing an, abends ein wenig zu trinken. Nicht viel. Er ist kein Alkoholiker, reagiert aber negativ auf Alkohol. Der holt eine Menge destruktiver Seiten aus ihm heraus.«
    »Was sind Sie von Beruf, Hillevi?«
    Ich weiß, dass diese Frage im Moment vielleicht nicht relevant ist, aber seit ich Hillevi kenne, bin ich auf eine rätselhafte Weise neugierig auf sie. Fasziniert, fast besessen von diesem starken, schönen Geschöpf.
    »Ich bin Kinderonkologin, Krebsärztin also. Ich arbeite im Astrid-Lindgren-Kinderkrankenhaus, das gehört ja zum Karolinska.«
    Ich nicke ihr zu, womöglich bin ich jetzt noch neugieriger.
    »Als Jakob mich zum ersten Mal geschlagen hat, war er nüchtern. Aber wir hatten eine schwere Zeit hinter uns. Lukas war ein unruhiges Kind und oft krank. Jakob war arbeitslos, sah sich den ganzen Tag Soaps an und fühlte sich als Versager. Wir stritten uns, ich weiß nicht einmal mehr, worüber, es kann also nicht besonders wichtig gewesen sein. Es war nur ein Schlag. Ins Gesicht. Aber mein Nasenbein war gebrochen. Danach war er verzweifelt, weinte in meinen Armen. Ich weinte. Wir weinten beide.«
    Hillevi sitzt jetzt still da, und alle schweigen.
    Sirkka hustet heiser und fährt sich mit der Hand durch die ausgedörrten roten Haare, die jetzt graue

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