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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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Hat gesagt, er wolle nur reden, und zugleich … es ist schwer zu erklären, aber er kam mir, ich weiß nicht, interessiert vor, ein wenig zu interessiert. Ich hatte Angst.«
    Kattis sieht mich an. Ihr Gesicht ist unbeweglich. Neutral, bis auf eine kleine Furche zwischen den Augenbrauen.
    »Es tut mir leid, Siri. Es tut mir so leid. Es ist meine Schuld. Sicher habe ich ihm gegenüber erwähnt, dass ich hierherkomme.« Sie seufzt tief. »Wenn ich gewusst hätte, was das auslöst, hätte ich nie mit der Gruppe angefangen. Dass ich herkomme, scheint ihn nur noch wütender zu machen. Und dann ist da wohl auch noch die Anzeige.«
    »Die Anzeige?«
    Ich bin überrascht, von einer Anzeige habe ich noch nichts gehört.
    »Ich habe Henrik vor einigen Monaten wegen Körperverletzung angezeigt, und da habe ich auch von der Gruppe erfahren. Ich weiß, dass es fast ein Jahr her ist und dass es keine Beweise gibt, aber …«
    »Gut! Oder, das ist doch sicher gut?«
    Fragend suche ich Kattis’ Blick.
    »Und wie. Aber auch unangenehm. Ich meine, wer weiß, was er noch alles unternehmen wird. Und jetzt rückt ja die Verhandlung näher …« Sie kämpft mit den Tränen.
    »Sie sollten umgehend die Stelle bei der Polizei anrufen, die sich mit dem Fall befasst. Und sagen, was passiert ist. Sie können Ihnen helfen, Sie entsprechend schützen.«
    »Glauben Sie? Die halten mich doch vielleicht nur für … hysterisch oder so. Was ich ihnen bisher gesagt habe, hat sie nicht gerade umgehauen.«
    »Ich halte es wirklich für das Beste.«
    Meine Gedanken eilen hin und her.
    Mein Gespräch mit Kattis weckt quälende Erinnerungen. Mir will nicht aus dem Kopf, wie ich mich hartnäckig gegen alle Schutzmaßnahmen gewehrt habe und wozu das geführt hat. Ich überlege, ob ich es Kattis erzählen müsste. Ihr sagen müsste, was ich durchgemacht habe. Ihr erklären, warum sie mehr Hilfe braucht. Ich treffe mich doch heute mit ihr, um ihr zu helfen, allein darum geht es doch.
    »Ich weiß nicht, wie viel Sie über mich wissen, Kattis, aber ich bin ebenfalls verfolgt worden.«
    Sie nickt und starrt ihre Hände an. Für eine Sekunde wirkt sie fast verlegen.
    »Ja, darüber wird schon ein wenig geredet. Wie dieser Verrückte Sie da draußen in Ihrem Haus fast umgebracht hat. Damals hat es ja auch in der Zeitung gestanden.«
    »Ich habe allein gewohnt, wie Sie. Mein Mann, Stefan, ist vor einigen Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen, und nur ich und mein Kater waren noch da. Auf irgendeine Weise hatte ich das Gefühl, dass das Haus alles war, was ich von Stefan noch hatte, und obwohl es besser für mich gewesen wäre, in die Stadt zu ziehen, bin ich dort geblieben. Ich konnte das Haus einfach nicht aufgeben, es wäre so gewesen, wie ihn zu verlassen. Als dann all diese seltsamen Dinge passierten, habe ich mich geweigert, sie zu glauben. Ich habe lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich wirklich verfolgt wurde, und zwar richtig, nicht nur als eine Art Witz. Trotzdem habe ich mich noch lange gegen jegliche Form von Schutz gewehrt. Ich hatte auf irgendeine Weise das Gefühl, dass das meine Privatsphäre verletzen würde. Dass ich doch nichts verbrochen hatte und deshalb nicht gezwungen sein dürfte, mein Leben zu ändern. Diese Haltung hätte mich fast das Leben gekostet. Ich hätte auf den Rat der Polizei hören und sofort wegziehen sollen. Jede Schutzmaßnahme und jede Art von Überwachung annehmen müssen. Verstehen Sie? Ich erzähle Ihnen das, weil … ich nicht will, dass Ihnen das auch passiert.«
    Ihre Augen weichen nicht von meinem Gesicht. In ihrem Blick sehe ich, wie Gefühle einander ablösen: Sympathie, Mitgefühl, Angst, Kummer und Zugehörigkeit. Etwas ist ans Licht gekommen, das uns miteinander verbindet. Wir sind nicht nur Klientin und Therapeutin. Wir werden durch unsere Erfahrungen aneinandergekettet. Vorsichtig streckt Kattis die Hand aus und legt sie auf meine. Das ist ein schönes Gefühl. Tröstlich. Ich lasse ihre Hand liegen.
    »Störe ich?«
    Aina steht in der Tür des Besprechungsraums. Ihre Wangen sind rot, und ihre langen blonden Haare fallen über ihre alte Lederjacke. In ihrem Blick sehe ich Überraschung und etwas anderes, etwas Undefinierbares. Vielleicht Zorn. Ich ziehe die Hand zurück. Verstecke sie unter dem Tisch. Meine Wangen werden heiß, und ich schäme mich, blitzschnell breitet sich dieses Gefühl in mir aus.
    »Wir sind gerade fertig. Es ist nur etwas passiert.«
    »Aha … und was ist passiert?«
    Aina

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