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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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vergeblich versucht hat, sie ihr aufzuzwingen.
    Es ist Kattis.
    »Er hat sie umgebracht!«
    Das schreit sie, ehe sie sich mit solcher Kraft in unseren Kreis drängt, dass Sofie fast vom Stuhl geworfen wird und mit dem Bein gegen den Tisch knallt, wobei die kleine blauglasierte Tonvase, die meine Schwester im Töpferkurs hergestellt hat, mit einem Knall zu Boden geht.
    »O nein!«, Kattis schlägt sich die Hand vor den Mund. »O nein, was habe ich getan!« Sie sinkt auf die Knie und hebt vorsichtig die Scherben auf. Hält sie in der Handfläche, streicht mit dem Finger über die azurblaue glasierte Oberfläche. »Verzeihung, Verzeihung. Herrgott, das wollte ich doch nicht!«
    Ich erwidere Ainas Blick, erhebe mich langsam und gehe neben Kattis auf dem Boden in die Hocke.
    »Kattis, das war nur eine kleine Vase, noch dazu eine scheußliche. Das macht wirklich nichts.«
    Tränen und Rotz laufen ihr über die Wangen.
    »Ich hätte nicht herkommen dürfen«, murmelt sie. »Ich mache alles kaputt. Alles, was ich anfasse, wird … Dreck. Es wäre besser gewesen, wenn er mich erledigt hätte.«
    »Hören Sie, das war nur eine blöde kleine Vase, es spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, ob es Ihnen gut geht. Also setzen Sie sich jetzt zu uns und erzählen Sie.«
    »Wer ist tot?«, fragt Hillevi, die als Einzige gefasst genug wirkt, um diese Frage zu formulieren.
    Aber Kattis gibt keine Antwort, sie lässt sich nur auf den leeren Stuhl sinken, schlägt eine Hand vors Gesicht, schluchzt laut auf.
    »Er hat sie umgebracht. Er hat sie totgeschlagen. Vor den Augen ihres Kindes!«
    Aina steht auf und geht zu Kattis. Legt ihr die Hand auf den Oberarm und sagt energisch:
    »Kattis, bitte erzählen Sie von vorne!«
    »Nein!«, brüllt Kattis und springt auf. Schüttelt Ainas Arm ab. »Nein, ich kann das nicht mehr. Kapiert das doch. Er hat sie umgebracht, und jetzt will er mich umbringen. Das weiß ich einfach.«
    Aina drückt Kattis auf den Stuhl und zieht ihr vorsichtig den Mantel aus, wie einem kleinen Kind. Packt ihre Schultern, zwingt sie, ihren Blick zu erwidern.
    »Sie müssen uns sagen, was passiert ist.«
    »Henrik, es war Henrik. Begreifen Sie denn nicht? Er hat seine neue Freundin umgebracht. Und jetzt will er mich umbringen!«
    »Henrik, Ihr Ex?«
    Kattis nickt und sieht uns zum ersten Mal an. Dann holt sie tief Luft.
    »Die Polizei war heute Morgen da. Ein Junge, der Reklame austeilt, hat Henriks neue Freundin ermordet aufgefunden. Die Tochter, sie ist fünf, saß neben ihrer toten Mutter in einer Blutlache unter dem Küchentisch und malte ein Bild. Und jetzt wird er mich umbringen!«
    Den letzten Satz heult Kattis. Wie ein waidwundes Stück Wild.
    »Aber haben sie ihn schon festgenommen?«, fragt Sirkka.
    Kattis schüttelt nur den Kopf. Starrt den Boden an, flüstert:
    »Ich kann nicht mehr.«
    Sven hat auch seine guten Seiten.
    Unter der ausgebeulten Cordjacke und den formlosen blauen Hemden versteckt sich ein durchaus mitfühlender Mann, und die abgenutzten Birkenstocksandalen haben viele Meilen hinter sich gebracht und so allerlei erlebt.
    Vorsichtig drückt er mich auf einen der unbequemen Plastikstühle in der Teeküche, kocht Kaffee, der, obwohl er zu kalt und zu schwach ist, besser schmeckt als irgendein Kaffee, den ich seit langem getrunken habe. Er hört sich meinen unzusammenhängenden Bericht über die Therapiesitzung des Tages an, lässt all meine Verzweiflung und Wut herauskommen. Unterbricht mich nicht. Sitzt nur da und spielt an seiner Pfeife herum, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, wirklich zu rauchen. Das würde er nicht wagen. Aina kann jederzeit mit dem Imbiss, den sie in den Söderhallen kaufen wollte, wieder zurück sein.
    »In gewisser Hinsicht weiß ich genau, wie ihr zumute ist, Kattis, meine ich. Ich weiß doch nur zu gut, was es für ein Gefühl ist, gejagt zu werden. Sich immer fragen zu müssen, wer sich in den Schatten unter den Bäumen im Park verbirgt, immer den beleuchteten Teil der Straße nehmen zu müssen, sich an Hundebesitzer und Jugendbanden hängen zu müssen, nur um dieser Einsamkeit, Verletzlichkeit, diesem Ausgeliefertsein zu entgehen.«
    »Ich verstehe.«
    »Und dennoch verliert man. Man wird immer eingeholt.«
    »Ich verstehe.«
    Für eine Sekunde sehe ich ihn an, in dem Bewusstsein, dass er sich wiederholt und dass er meine Kommentare wiederholt, als ob er wirklich verstanden hätte.
    Vor dem Fenster ist es dunkel. Außer Sven und mir ist niemand in der Praxis. Die Frauen

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