Das Trauma
lehnt am Türrahmen. Die Arme vor der Brust verschränkt.
»Also, ich … muss jetzt los.«
Kattis greift zu ihrer Tasche und steht auf, drängt sich an Aina vorbei und geht weiter zur Diele. Streift den blauen Schuhüberzug ab und legt ihn in den Korb für benutzte Überzieher. Sie packt die Türklinke, dreht sich aber noch einmal um und sucht meinen Blick, in dem Wissen, dass Aina ihr Gesicht nicht sieht. Verdreht die Augen und lächelt fast verschwörerisch. Sekunden später ist sie verschwunden.
»Was war das also?« Aina steht noch immer in der Tür und sieht gereizt und neugierig zugleich aus. »Ich meine, in einer leeren Praxis mit einer Klientin Händchen zu halten? Willst du Markus auswechseln, oder was?«
»Es ist nicht so, wie du glaubst.«
Meine Stimme klingt unerwartet schrill und laut. Es ist die Stimme, die ich habe, wenn ich mich mit Markus streite, und einen kurzen Moment lang sehe ich mich von außen. Denke, dass ich mit niemandem mehr zusammen sein kann.
»Und wie ist es also?«
Ainas Miene, fast spöttisch. Als spielten wir in einem Drama, bei dem alles bereits festgelegt ist.
»Du kannst ja wohl erzählen, was Sache ist. Wirklich, Siri. Ich finde dich hier Hand in Hand mit Kattis vor. In der Praxis. Verstehst du, dass ich das ein wenig seltsam finde? Vorige Woche hast du sie nach dem Gruppentreffen getröstet. Was läuft da eigentlich zwischen euch?«
Und plötzlich geht mir auf, was mich bei Aina irritiert, nämlich dieses gleitende Gefühl, das sich niemals ganz deutlich und offen zeigt, sondern sich hinter Wörtern, Formulierungen versteckt. Das Gefühl, das Aina zu verbergen versucht. Zu überspielen.
Aina ist eifersüchtig.
Gustavsberg, 22. Oktober, abends
Marek rennt auf niemals müde werdenden Beinen die Treppe des heruntergekommenen Hauses hinunter. Mager, sehnig und unermüdlich bewegen sie sich voran, Fußballerbeine, Läuferbeine, Beine, die stundenlang der Mopedbande am See davonrennen können.
In den Ohren iPod-Stöpsel, die Hände voller Werbematerial. Der kleine Fahrradanhänger, bis an den Rand gefüllt mit frischen Sendungen, steht im Hauseingang. Heute kommt die Reklame von ICA , wo es Sonderangebote für Bratwurst und Windeln gibt, die Schwedische Maklervereinigung möchte ihre Dienste anbieten, als könnten die Wohnungen in diesem deprimierend heruntergekommenen Haus irgendwen interessieren.
Im Anhänger liegt auch ein schwarzweißer Infozettel im DIN-A 5-Format vom H-I-A -Allservice, der Reinigung, Tischlerarbeiten und Anstrich bietet. Diesen Zettel teilt er kostenlos aus. Die Firma gehört Bogdan, dem Vetter seines Vaters, und es kommt vor, dass er bei diesem Rundumservice, von dem die Rede ist, mithelfen darf. Bogdan bezahlt ihn immer gut, also macht es ihm auch nichts aus, Bogdan beim Marketing zu helfen.
Svensson, Holopainen, Skogjö.
Für das Geld, das er hier verdient, wird er sich einen Computer kaufen und mit seinen Kumpels WoW spielen. Bis dahin muss er den Computer in der Schulbibliothek benutzen, und damit darf man keine Computerspiele machen oder auf Websites mit Mädels surfen.
Jetzt ist er schon im dritten Stock angekommen. Die pistaziengrünen Wände sind übersät mit Millionen von kleinen weißen und schwarzen Flecken. Als ob jemand das ganze Scheißtreppenhaus in Streusel gerollt hätte.
Uzgur, Johansson, Rashid …
An Johanssons Tür ein kleines Schild mit der Aufschrift »Bitte keine Werbung«. Er streicht sich eine schweißnasse Strähne aus dem Gesicht, zieht von jeder Werbesendung drei Exemplare hervor, rollt sie umeinander und presst sie durch den Briefschlitz. Sie landet mit einem kleinen Knall auf dem Boden. »Keine Werbung«, manche Leute spielen sich immer so auf, und dann kriegen sie von ihm die doppelte Portion, so ist es einfach.
Zweiter Stock.
Die Lampe unter der Decke funktioniert nicht. An Licht gibt es nur das, was aus dem dritten Stock durch das Treppenhaus fällt, dazu ein schwaches grünes Flimmern von dem zerbrochenen Schild über dem staatlichen Alkoholladen, der auf der anderen Straßenseite liegt.
Die Wohnungstüren sehen im trüben Treppenhaus aus wie dunkle Löcher. Die Schilder sind nur schwer zu lesen.
Lanto, Tarek, Olsson …
Aber was ist das hier?
Olssons Tür ist nicht geschlossen. Ein haarfeiner Lichtstrahl dringt ins Treppenhaus.
Er drückt vorsichtig auf die Klinke. Die Sicherheitskette ist nicht vorgelegt.
Sein erster Gedanke: Vielleicht gibt es Geld in der Wohnung oder Schmuck, elektronische
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