Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Herren«, die erregt lispelnde Stimme Justin Steinfelds kämpft um Gehör. »Lesen Sie denn keine Zeitungen?«
»Doch, doch«, František Langer ist offenkundig empört, blickt zu Karel Capek hinüber, aber der so wortgewandte Schriftsteller und Publizist schweigt beharrlich. Gustav Meyrink erhebt sich und geht auf Max Brod zu, der nervös die Zeitungsstapel unter leicht vergilbten Nebelschwaden durchwühlt.
»Sie verzeihen«, Meyrink langt nach der Himmels-Presse.
»Da gibt es nichts zu verzeihen«, ärgert sich Brod ganz irdisch. »Wenn Prag aufhört, die Hauptstadt der Tschechoslowakei zu sein – was gibt es da zu verzeihen?«
»Richtig«, Langer nimmt die Brille ab und streicht mit beiden Händen über seinen Kopf, als wollte er von ihm etwas wegwischen. »Hat man denn inzwischen vergessen«, fährt er aufgebracht fort, »daß wir im ersten Weltkrieg auch deshalb in den dreckigen Schützengräben gehockt haben, damit die erwähnten Staaten, nach denen sich so viele Menschen sehnten, endlich Wirklichkeit werden konnten.«
»Sehnten schon«, wendet sein jüngerer Kollege Friedrich Thorberg, gleich mir Zögling des Prager Stephansgymnasiums, nachdenklich ein, »aber man darf doch nicht vergessen, meine Herren, was aus all dem dann geworden ist. Hat es die Bürger dieser neuen Staaten glücklicher gemacht, nachdem sie auch noch einen zweiten Weltkrieg überstehen mußten? Uns hier oben ist – wem sei es nur geklagt? – schon unendliche Ruhe verbürgt, aber was alles erwartet noch unsere einstigen Mitmenschen dort unten?«
Nach diesem Stoßseufzer tritt abermals Stille ein. Kisch entgleitet nur die Zigarette aus dem Mundwinkel, Kafka wird noch etwas blasser, František Langer schüttelt ratlos den Kopf, Rainer Maria Rilke und Franz Werfel tauschen verständnisvolle Blicke aus, Jaroslav Hašek betrachtet mißmutig sein mit farbloser Flüssigkeit gefülltes Bierglas. (Ein Paradies ohne böhmisches Bier – welch eine Ironie!)
Zur allgemeinen Überraschung springt Franz Kafka plötzlich auf und schiebt mit offensichtlicher Anstrengungeine graue Regenwand beiseite. Da kommt mit einem Schlag Bewegung in die ganze Runde. Alle drängen sich um die besten Aussichtsplätze, lugen hinunter auf den Hradschin über der Moldau und dann hinüber auf die Burg Devín über der Donau in Bratislava und verwickeln sich dabei erneut in ein leidenschaftliches Gespräch von Tisch zu Tisch, von dem ich aber leider nichts vernehmen kann.
Von dem man hier unten leider so gut wie nie etwas vernehmen kann.
Gibt es im Traumcafé eigentlich auch einen Oberkellner? Gezahlt wird dort freilich nicht, aber jemand muß doch für die Gäste sorgen. Jemand muß für sie die unentbehrlichen irdischen und überirdischen Zeitungen beschaffen, die ringsum an den Wolken hängen. Jemand muß auch darauf achten, daß keine Tasse Kaffee ohne ein Glas frischen Wassers (Nektars?) serviert wird. Ohne ein wenig Klatsch von Tisch zu Tisch und ohne die wohlwollend überlegene Fürsorge des Herrn Ober wäre wohl selbst ein Traumcafé kein wahres Kaffeehaus.
Und so bemerkt vielleicht der gute Herr Franz oder Josef oder Rudolf hinter dem Stuhl meines Mannes, wenn er bei mir hier unten Niedergeschlagenheit oder gar einen Anfall von Mutlosigkeit zu erkennen glaubt (und wischt dabei, um nicht aufdringlich zu erscheinen, etwas Wolkenstaub von der runden Tischplatte): »Sollten wir der Frau Gemahlin nicht ein paar Blumen schicken? Verzeihen Sie, ich will mich, Gott bewahre, in keinerlei Weise in Ihr privatissimum einmischen, Blumen sind unter den hiesigen Verhältnissen wohl auch kaum aufzutreiben, aber wie wäre es mit einem erfrischenden warmen Regenschauer, einem fröhlichen Blitz oder wenigstens mit einem sanften Lüftchen?«
Ach, lieber Herr Rudolf oder Josef oder Franz, Sie werden staunen, aber ich bringe es in der Tat fertig, derartig unwahrscheinliche Zeichen aus Ihren Sphären wahrzunehmen, mit solchen Vorstellungen zu spielen.
Jetzt aber paßt auf, Ihr da oben. Jetzt kommt etwas, das ich mir ganz gut hätte zurechtfabulieren können, das ich jedoch erlebt habe. (Es hätte sich allerdings auch ruhig einer von euch ausdenken können.) Eine Prager Geschichte? Gewiß. Eine Prager Figur war da auf jeden Fall im Spiel, wiewohl keineswegs so außergewöhnlich und unvergeßlich wie etwa der Maler Robert Guttmann, den Ihr ja wohl alle gekannt habt. Seht euch bitte um, läuft er nicht gerade mit seinen typisch ausholenden Schritten zwischen euren Tischen
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