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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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ahnen können, daß sie wenige Stunden zuvor mit peinigenden Schmerzen im Bett lag. Ich staunte und atmete auf.
    Wie einst so oft auf Erden sitzt Helene Weigel übrigens an demselben Tischchen wie die Seghers. Wieso habe ich das nicht gleich gemerkt?
    »Dank, Helli«, rufe ich ihr zu. »Aber sehr aufmunternd klingt, was du vorhin sagtest, ja nicht gerade.«
    »Der Brecht«, sagt nun die Weigel, die seine Frau war, »der Brecht war ja nie unmittelbar aufmunternd. Aber das weißt du doch. Im übrigen bitte ich dich, verlaßdich nicht zu sehr auf uns hier oben. Hast ja den Vorteil, daß du noch herumläufst auf der lausigen Welt, begreifst also sozusagen auf eigener Haut, was los ist und was wir von hier aus nur mehr ahnen und vermuten können.«
    Jetzt lächeln mir beide Frauen – ganz ohne Zweifel aufmunternd – zu, schlürfen dabei ihr ätherisches Getränk, und bei diesem Anblick überfällt mich unwiderstehlicher Durst nach echtem, irdischem Prager (keineswegs türkischem) Kaffee.
    In Prag soll es in den zwanziger Jahren unseres Säkulums eine Nachrichtenbörse gegeben haben. Dort wurden, wie schon der Name besagt, keine Wertpapiere und Geldkurse gehandelt, sondern Nachrichten. Diese Börse soll sich an zwei Stellen befunden haben. Die eine im Restaurant Brejska in der Spálená – deutsch Brenntegasse, so benannt, weil hier am Anfang des 16. Jahrhunderts ein mächtiges Feuer mehr als zwanzig Häuser in Schutt und Asche verwandelt hat. Die andere Börse tagte im Restaurant Chodera, von dem nichts Näheres mehr bekannt ist.
    Egon Erwin Kisch schrieb, daß an diesen beiden Orten die verschiedensten Informationen ausgetauscht und zum Teil auch gleich in Taten, d. h. in Augenscheinnahmen und nachfolgende Augenzeugenberichte, umgesetzt wurden. Brachte ein Kollege etwas Sensationelles etwa aus einem Krankenhaus, so meldete ein anderer, was er von einem Geheimpolizisten bei einem Streifzug durch die Prager Unterwelt erfahren hat. All das war Tauschware. An den im Laufe der Abend- und Nachtstunden immer dichter mit Biergläsern und Kaffeetassen bedeckten Tischen in beiden Lokalen wurde ebenso erhitzt mit Nachrichten gehandelt, wie an denklassischen Institutionen mit Börsenwerten. An der Spitze der Werttabelle der Journalistenbörse buchten die sogenannten Solokaper. Das mußte eine Sensation sein, die den anderen Börsianern vor der Nase weggekapert wurde und also solo stand.
    Nun, wie wäre es, verehrte Frequentanten, fast wäre ich versucht zu sagen werte Bewohner des Traumcafés, wie wäre es, wenn ihr in eurem Lokal mit eurer einzigartigen Weit- und Übersicht in diesen (für uns hier unten) so turbulenten Zeiten eine solche Nachrichtenbörse erneut ins Leben rufen würdet? Die Fachleute befinden sich ja unter euch. Sie müßte als orbitale Institution eine feste Ordnung und genau festgelegte Regeln haben.
    In Umlauf gesetzt dürften nur solche Nachrichten werden, die auf nachweisbarer Wahrheit beruhen. Auf Erden ist eine derartige Forderung leider kaum realisierbar, aber an einem erträumten Ort?
    Vorrang müßten ferner Mitteilungen über positive Taten haben, über menschen- und überhaupt lebensfreundliche Erfindungen. Etwa über eine Pille gegen Gewalttätigkeitsdrang, ein Spülwasser, das mit dauernder Wirkung schmutzige Gedanken, vielleicht selbst schmutzige Hände reinigt, ein Pulver, das diktatorische Gelüste lähmt.
    Mit solchen Nachrichten müßten an eurer Börse die höchsten Kurse erzielt werden. Eintauschen könnte man sie gegen die Werte, die in einer anderen Ecke, an anderen Tischchen gehandelt werden. Dort könnte man z.B. erfahren, welche Meere wieder sauber, welche Erdfrüchte erneut verläßlich gesund sind und wo man ohne überflüssige Aufregungen und sinnlos provozierte Gefahren ruhig leben und sogar friedlich sterben kann. Dieser letzte Schritt ist schließlich nicht zu umgehenund führt einen sogar, wenn man Glück hat, in eure so erstrebenswerte Gesellschaft.
    Wie mir schien, löste dieser mein Vorschlag im Traumcafé einen ganz schönen Wirbel aus. Ich ließ mich dadurch jedoch nicht beirren und baute meine Vision weiter aus:
    Es wäre ganz ohne Zweifel zweckentsprechend und vor allem gut, fuhr ich fort, wenn sich in den großen Spiegeln des Traumcafés – ein ordentliches Kaffeehaus muß doch wenigstens an einer Wand mit einem prächtig eingerahmten Spiegel verziert sein –, wenn sich also in den großen Spiegeln die vier Weltseiten und alle fünf Kontinente reflektieren würden.

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