Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
gemeinsamen Geburtsstadt an, obwohl ich wissen mußte, daß ich störe, denn von einem Ruhestand, einem gar ewigen Ruhestand, konnte bei diesem emsigen Mann keine Rede sein, »Franz, gibt es in deinen Notizen etwas über – sagen wir – eine unterschiedliche Schreibfähigkeit von Menschen mit dicht bewachsenem und solchen mit schütter bewachsenem Kopf?«
»Sagen wir!« Weiskopf schüttelt mißbilligend sein mit leicht weißlichem Flaum bedecktes Haupt. »Immer noch dein Prager Deutsch.« Aber dann fügt er gleich in seiner mir so vertrauten freundlichen Weise hinzu: »Warum machst du dir solche überflüssigen Sorgen? Du weißt doch sehr gut, daß es darauf ankommt, was in einem Kopf steckt, und nicht, was auf ihm sprießt.«
Dabei entgeht mir nicht, daß er, während er spricht, einen winzigen Wolkenzipfel heranzieht, beinahe verstohlen etwas darauf kritzelt und das Ganze schnell in seiner Rocktasche verschwinden läßt.
»Immer noch dein Zettelkasten!« pariere ich und spiele damit auf unsere gemeinsame Redaktionszeit in der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung an, in der mich mein Chef mit seiner vorbildlich systematischen Arbeitsweise stets von neuem in Erstaunen versetzte. Auf Zeitungsränder, auf Korrekturbogen, auf Rechnungsstreifen im Restaurant – überall notierte FCW einen Ausspruch, eine Redewendung, eine ungewöhnliche Bezeichnung, um dann dieses »Wortmaterial« zu Hause in seinen berühmten Zettelkasten einzureihen. Ich war knapp zwanzig Jahre alt und hielt nichts von systematischer Ordnung bei schöpferischer Tätigkeit, nahm jedoch ansonsten Weiskopfs stilistische Ratschläge sehr dankbar entgegen. Er war ein feinfühliger Übersetzer tschechischer, slowakischer, sogar chinesischer Lyrik und hat im amerikanischen Exil während der Kriegsjahre seine »Verteidigung der deutschen Sprache« publiziert, eine Schrift, die – noch dazu aus der Feder eines Pragers! – breite Anerkennung fand.
Im Traumcafé gewähre ich, wie es einst in den irdischen Prager Kaffeehäusern üblich war, auch den sogenannten »Prager« Emigranten aus Hitlers Drittem Reich ein gleiches Stammgästerecht. Ich weiß, in welcher geschützten, vom Eingang aus nicht gleich überblickbaren Ecke der kahlköpfige Malik-Verleger Wieland Herzfelde mit dem Philosophen Ernst Bloch diskutiert, den in den Jahren seines Aufenthaltes in unserer Stadt, in der auch sein einziger Sohn auf die Welt kam, ein dichter, noch dunkler Haarschopf zierte. In Prag suchten die beiden nur dann ein Kaffeehaus auf, wenn sie mit Freunden und Kollegen diskutieren wollten, denn sie lebten mit ihren Familien längere Zeit unter einem Dach in der Altstädter Konviktská-Gasse Nr. 5. Im hinteren Traktdieses großen Hauses, in der Betlémská Nr. 6, war der aus Hitlerdeutschland vertriebene Malik-Verlag untergekommen. Herzfelde wurde großzügig vom Besitzer des Hauses, dem Papier-En-Gros-Händler Karl Stein unterstützt, der ihm sein Papier auf Kredit lieferte, wiewohl er wußte, daß seine Rechnung kaum jemals und wenn dann nur teilweise beglichen werden würde. Aber er liebte Bücher und haßte den Faschismus.
Ich weiß auch, an welchem Tischchen der rötlich haarkrausige Hamburger Justin Steinfeld in allen Ausgaben der ärgerlich flatternden Himmelszeitungen schmökert und wo der dickliche, glatt gescheitelte Kurt Kersten der Geschichte der Vergangenheit und dem zeitgenössischen historischen Klatsch nachspürt. Einmal hat er sich bei mir beklagt, in Prag sei dieses Unterfangen bei aller Gemütlichkeit, die hier walte, doch weniger ergiebig als etwa in der französischen Hauptstadt.
»In Paris lese ich am Morgen auf einer Kaffeehausterrasse im Quartier latin die Zeitungen, jemand kommt vorbei, jemand sitzt am Nebentisch, und ehe ich nach Hause gehe, weiß ich sowohl, was in der großen Politik, als auch was im Emigrantenuniversum los ist.«
Ob das wohl im Traumcafé auch so funktioniert, wenn dort wichtige Nachrichten mit Donnergegroll herangeschoben und intime in glitzernden Tautropfen aufgetischt werden? Natürlich weiß ich auch, wo der kleine, scheinbar uninteressiert zwischen den Gästen umherstolzierende John Heartfield nach verwendbaren Donner- und Blitzschnitzeln für seine Foto-(atmosphärischen?) Montagen Ausschau hält. Puffige Wolken, Regenstränge, Sturmwirbel, Hagelkörner, zackige Blitze, Sonnenauf- und -untergänge – welch ein Materialvorrat! Und erst die seligen und unseligen Geister!Zudem wird für nichts von all dem Honorar verlangt,
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